Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
unmöglichen Aufgaben«, erwiderte Ronica. »Wenn wir uns darauf konzentrieren, Bingtown wieder zu dem zu machen, was es war, dann ist unser Untergang besiegelt. Wir müssen vorwärts gehen, ein neues Bingtown schaffen. Es wird nie wieder so sein, wie es war. Die Händler werden niemals wieder so viel Macht haben, wie wir einst hatten. Aber wir können immer noch weitermachen. Das ist die Herausforderung, Gefährtin. Das zu akzeptieren, was einem widerfährt, und daraus zu lernen, statt sich davon in eine Falle drängen zu lassen. Nichts ist so zerstörerisch wie Mitleid, vor allem Selbstmitleid. Und kein Ereignis ist so furchtbar, dass man sich nicht darüber erheben kann.«
Der Blick, den Serilla ihr zuwarf, war so eigenartig, dass es Ronica kalt den Rücken herunterlief. Einen Moment schien ihr eine Tote entgegenzublicken. Als sie sprach, klang ihre Stimme tonlos. »Ihr seid längst nicht so erfahren, wie Ihr glaubt, Händlerin. Wenn Ihr erduldet hättet, was ich erdulden musste, wüsstet Ihr, dass manche Erlebnisse unerträglich sind. Einige Erfahrungen verändern einen für immer und entziehen sich auch jedem noch so innigen Wunsch, sie zu vergessen.«
Ronica sah sie gleichmütig an. »Das ist nur wahr, wenn Ihr es für wahr erklärt. Dieses schreckliche Ereignis, ganz gleich, was es gewesen sein mag, ist vorbei. Wenn Ihr Euch daran festklammert, wird es Euch formen, und Ihr seid verdammt, für immer damit zu leben. Ihr gewährt ihm damit Macht über Euch. Schiebt es zur Seite und gestaltet Eure Zukunft so, wie Ihr sie haben wollt, trotz allem, was Euch widerfahren ist.
Dann könnt Ihr sie kontrollieren.«
»Das ist leichter gesagt als getan!«, fuhr Serilla sie an. »Ihr könnt Euch gar nicht vorstellen, wie ekelhaft ignorant Ihr Euch anhört, Ihr und Euer mädchenhafter Optimismus. Ich denke, ich habe für heute genug hinterwäldlerische Philosophie gehört. Geht.«
»Mein ›mädchenhafter Optimismus‹ ist der Geist Bingtowns, über den Ihr ›so viel Gutes gehört‹ habt!«, erwiderte Ronica barsch. »Ihr begreift offenbar nicht, dass erst der Glaube daran, unsere Vergangenheit beherrschen zu können, uns ermöglichte, hier zu überleben. Das müsst Ihr in Euch selbst finden, Gefährtin, wenn Ihr hoffen wollt, eine von uns zu werden. Also. Wollt Ihr Euch jetzt diese Einträge ansehen oder nicht?«
Ronica konnte beinahe sehen, wie Trotz in Serilla hochstieg.
Sie wünschte, sie könnte sich der Gefährtin als eine Freundin und Bundesgenossin nähern, aber Serilla betrachtete anscheinend jede andere Frau entweder als Rivalin oder als Spionin.
Also blieb sie stocksteif stehen und wartete kühl auf Serillas Reaktion. Sie betrachtete sie mit den Augen einer Händlerin und sah, wie der Blick der Gefährtin zuerst zu dem geöffneten Aktenordner auf dem Schreibtisch und dann zurück zu Ronica glitt. Die Frau wollte wissen, was darin stand, aber sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass sie nachgab. Ronica gab ihr noch ein wenig Zeit, doch als die Gefährtin immer noch schwieg, riskierte sie alles.
»Also gut. Wie ich sehe, habt Ihr kein Interesse. Ich hatte angenommen, dass Ihr sehen wolltet, was ich entdeckt habe, bevor ich es dem Konzil der Händler vorstelle. Ihr mögt mir nicht zuhören wollen, aber sie werden es ganz bestimmt.« Sie trat an den Tisch, schloss den Ordner und legte ihn in ihre Armbeuge.
Sie ließ sich Zeit, den Raum zu verlassen, und hoffte, dass Serilla sie zurückrufen würde. Langsam ging sie den Flur entlang, aber alle Hoffnung schwand, als sie den Knall hörte, mit dem die Tür von Davad Restates Bibliothek geschlossen wurde. Es war sinnlos. Seufzend stieg Ronica die Treppe zu Davads Schlafzimmer hinauf. Als jemand an das große Portal klopfte, blieb sie stehen und trat dann rasch ans Geländer, um hinunterzusehen.
Eine Dienstbotin öffnete die Tür und wollte den Gast förmlich begrüßen, doch der junge Händler trat sofort ein. »Ich habe Neuigkeiten für die Gefährtin Serilla. Wo ist sie?«, verlangte Roed Caern zu wissen.
»Ich sage Ihr, dass Ihr…«, begann die Dienstbotin, aber Roed unterbrach sie ungeduldig.
»Das hier ist wichtig! Eine Brieftaube aus der Regenwildnis ist angekommen. Ist sie im Arbeitszimmer? Ich kenne den Weg!« Er ließ der Dienstbotin nicht einmal Zeit für eine Erwiderung, sondern drängte sich an ihr vorbei. Seine Stiefel knallten auf den Steinfliesen, und sein Umhang flatterte hinter ihm her, als er durch die Eingangshalle schritt. Die
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