Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
niemals suchen. Ich möchte gern daran glauben können, dass er einen freundlichen Herrn gefunden hat, der ihn gut behandelt, weil er so geschickt mit dem Stift ist. Aber wenn ich nach Chalced ginge, würde ich dort wegen meines Mals auf der Wange rasch als entlaufene Sklavin aufgegriffen werden. Ich würde wieder zu einem Eigentum werden. Und selbst wenn nicht… wenn ich ihn noch lebendig vorfinden würde, müsste ich ihm sagen, wie unser Sohn gestorben ist. Wie unser Sohn starb und ich lebte. Wie sollte ich ihm das erklären? Ganz gleich, wie ich es mir ausmale, es endet nie gut. Denkt es bis zum Ende, Ronica. Es endet immer in Bitternis. Nein. So bitter meine Lage jetzt auch sein mag, es ist trotzdem das beste Ende, auf das ich hoffen kann.«
»Es tut mir Leid«, erwiderte Ronica. Wenn sie mehr Geld gehabt hätte, ein Schiff, dann hätte sie jemanden nach Chalced schicken und nach Raches Ehemann suchen lassen können. Sie hätte ihn freikaufen und ihn zurückbringen können. Dann…
Doch dann müssten die beiden mit dem Wissen leben, dass ihr Sohn tot war. Aber sie könnten noch andere Kinder bekommen, das wusste Ronica. Sie und Ephron hatten all ihre Söhne bei der Blutpest verloren, aber Althea war danach zur Welt gekommen. Sie sagte Rache nichts davon, gab sich jedoch ein kleines Versprechen vor Sa. Sollte sich ihr Glück wenden, würde sie alles dafür tun, auch Raches Schicksal zu ändern.
Das war das Mindeste, was sie für eine Frau tun konnte, die ihr so lange zur Seite gestanden hatte.
Zuerst jedoch musste sie ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen. Es wurde Zeit damit aufzuhören, andere Leute die gefährliche Arbeit für sie tun zu lassen.
»Ich komme bei Serilla nicht weiter«, erzählte sie Rache.
»Morgen gehe ich mit dir in aller Frühe zum Fischerstrand.
Wir müssen sie erwischen, bevor sie auslaufen. Ich werde selbst mit Sparse Kelter reden und ihn bitten, zu den anderen Drei-Schiffe-Familien zu sprechen. Ich werde ihm sagen, dass es Zeit wird; nicht nur dafür, Frieden mit Bingtown zu machen, sondern auch dafür, Bingtown zu erklären, dass wir uns selbst regieren wollen. Aber das macht es erforderlich, dass wir uns alle einig sind, nicht nur die Alten Händler, sondern auch die Drei-Schiffe-Immigranten und die unter den Neuen Händlern, die bereit sind, nach unserer althergebrachten Lebensweise zu leben. Keine Sklaverei. Alle müssen ein Teil von diesem neuen Bingtown werden, das wir erbauen wollen.« Ronica dachte einen Moment nach. »Ich wünschte, ich würde einen der Neuen Händler kennen, der vertrauenswürdig ist«, sagte sie dann.
»Alle«, meinte Rache leise.
»Alle Neuen Händler?« Ronica war verwirrt.
»Ihr sagtet, alle müssten ein Teil dieses neuen Bingtown werden. Aber eine Gruppe habt Ihr ausgelassen.«
Ronica dachte nach. »Ich glaube, ich meinte mit den Drei-Schiffe-Immigranten all die Menschen, die sich hier niedergelassen haben, nachdem die Bingtown-Händler Bingtown gegründet haben. Alle Menschen, die hierher kamen und unsere Sitten und Gebräuche akzeptierten.«
»Denkt nach, Ronica. Seht Ihr uns nicht, obwohl wir hier sind?«
Ronica schloss einen Moment die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, begegnete sie Raches Blick. »Ich schäme mich«, sagte sie aufrichtig. »Du hast Recht. Kennst du jemanden, der für die Sklaven sprechen kann?«
Rache sah sie gleichmütig an. »Nennt uns nicht Sklaven. So hat man uns tituliert, als man versuchte, uns zu jemandem zu machen, der wir nicht sind. Unter uns nennen wir uns Tätowierte. Es bedeutet, dass man unsere Gesichter gezeichnet hat, aber nicht unsere Seelen.«
»Habt ihr einen Anführer?«
»Nicht direkt. Als Amber noch in Bingtown war, hat sie uns gezeigt, wie wir uns selbst helfen können. Wir sollten in jedem Haushalt, so sagte sie, jemanden suchen, der als Informant dient. Wenn jemand etwas Nützliches entdeckte, etwas, das einem anderen helfen könnte, sollte dieses Wissen dem Informanten mitgeteilt werden. Amber hat uns beschworen, nicht einen Anführer zu erwählen, sondern viele, wie Knoten in einem Fischernetz. Ein Anführer könnte gefangen und gefoltert werden und uns alle verraten. Aber so lange wir die Anführer verteilten, wären wir wie ein Netz. Selbst wenn man ein Netz zerschneidet, sind in jeder Hälfte noch viele andere Knoten.«
»Das hat Amber getan? Amber, die Perlenmacherin?«, fragte Ronica. Als Rache nickte, fragte sie: »Warum?«
Rache zuckte mit den Schultern. »Einige vermuten, dass
Weitere Kostenlose Bücher