Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
sie selbst eine Sklavin gewesen ist, trotz der Tatsache, dass sie keine Tätowierung trägt. Sie trägt einen Freiheitsring in einem Ohr, diesen Ring, den freigelassene chalcedeanische Sklaven tragen müssen, um zu beweisen, dass man ihnen ihre Freiheit gegeben hat. Ich habe sie einmal gefragt, ob sie sich ihre Freiheit erkauft hat oder ob der Ring ihrer Mutter gehört habe. Sie schwieg eine Weile und sagte dann, es wäre ein Geschenk von ihrer einzigen wahren Liebe. Als ich Amber fragte, warum sie uns helfe, erwiderte sie, sie könne nicht anders. Es wäre ihr aus ganz persönlichen Gründen wichtig.
Einmal war ein Mann sehr wütend auf sie. Er meinte, es wäre leicht für sie, ein Risiko einzugehen und eine Rebellion in Gang zu bringen. Sie konnte uns in große Gefahr bringen und dann einfach weggehen. Ihre Tätowierung könnte ja vielleicht weggeätzt sein, unsere aber nicht. Amber sah ihn an und erwiderte, er habe Recht. Deshalb wollte er, dass sie uns erklärte, warum sie diese Dinge tat. Es war merkwürdig. Sie wippte auf den Absätzen und blieb dann einen Moment regungslos sitzen.
Schließlich lachte sie laut und sagte: ›Ich bin eine Prophetin und wurde geschickt, um die Welt zu retten.‹«
Rache lächelte, als sie daran dachte. Ronica schwieg, während sie sie verblüfft betrachtete. Nach einem Augenblick neigte Rache den Kopf und fuhr nachdenklich fort: »Viele von uns mussten darüber lachen. Wir hatten uns an einem dieser Waschbrunnen versammelt und säuberten fremde Wäsche. Ihr hattet mich in die Stadt geschickt, um etwas zu kaufen, und ich war dort stehen geblieben, um zu plaudern. Es war ein sonniger, wolkenloser Tag, und mit ihren Reden und ihren Plänen gab Amber uns das Gefühl, als könnten wir wirklich irgendwann wieder die Freiheit über unser eigenes Leben gewinnen.
Alle hielten ihre Worte, dass sie die Welt retten wollte, für einen Scherz. Aber wie sie lachte… Ich glaube, sie lachte, weil sie wusste, dass sie uns ruhig die Wahrheit sagen konnte. Denn keiner von uns würde ihr jemals glauben.«
Ronica ging zu Fuß zur Halle der Händler. Sie erwartete natürlich nicht, dass Gefährtin Serilla sich darum kümmerte, auf welche Weise sie dorthin gelangte. Also verließ sie Davads Haus sehr früh, nicht nur wegen des beschwerlichen Fußwegs, sondern auch, um als eine der Ersten dort einzutreffen. Sie hoffte, mit einzelnen Händlern zu sprechen, wenn sie eintrafen, und so herauszufinden, was das Konzil ihrer Meinung nach tun sollte. Es war kein leichter Gang und auch nicht besonders sicher. Rache wollte sie begleiten, aber Ronica bestand darauf, dass sie zu Hause blieb. Es war sinnlos, ihre beider Leben zu riskieren. Der ehemaligen Sklavin würde man den Zugang zum Bingtowner Händler-Konzil ohnehin verwehren, und Ronica wollte nicht von ihr verlangen, draußen in der einbrechenden Dunkelheit zu warten. Sie selbst hoffte, nach der Versammlung jemanden zu finden, der sie zu Hause absetzte. Der kalte Herbstwind zerrte an ihren Kleidern, und der Zustand der Stadt zerriss ihr beinahe das Herz.
Ihr Weg führte sie allerdings nicht direkt in den Stadtkern, denn die Halle war auf einem niedrigen Hügel erbaut worden, von dem aus man einen Blick über ganz Bingtown hatte. Sie kam an vielen Händlerhäusern vorbei. Die Tore und breiten Zufahrtswege waren jetzt verbarrikadiert, und häufig standen bewaffnete Männer davor Wache. Niemand war vor herumstreifenden Banden und Plünderern sicher. Die Wachen sahen selbst ihr unfreundlich hinterher, und niemand grüßte sie oder sprach sie an.
Ronica war die Erste. Die Halle hatte genauso schlimm gelitten wie Bingtown selbst. Das alte Gebäude war mehr als ein Bauwerk, in dem sich Händler trafen. Es war das Herz ihrer Einheit, ein Symbol für das, was sie waren. Seine Steinwände brannten zwar nicht, aber jemandem war es gelungen, das Dach anzuzünden. Ronica starrte eine Weile bestürzt hinauf.
Dann wappnete sie sich gegen das, was sie im Inneren finden würde, und stieg die Stufen hinauf. Die Türen waren aufgebrochen worden. Vorsichtig spähte sie hinein. Es hatte zwar nur eine Ecke des Daches gebrannt, aber der Gestank nach Feuer und feuchtem Rauch lag über der gesamten Halle. Das Tageslicht drang schwach durch das zerbrochene Dach und erhellte den leeren Saal. Ronica schob die Türen auf und tastete sich vorsichtig weiter. In der Versammlungshalle war es kalt. Die vertrockneten Dekorationen vom Sommerball hingen immer noch an den Wänden und
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