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Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt

Titel: Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Krallen an ihrer linken Vorderklaue und verstauchte sich empfindlich ihre Flügel, als sie sie ausbreitete, um sich damit abzufangen. Sie watete aus dem Wasser, ohne von Jubelgeschrei und Gesängen empfangen zu werden. Nur das Flüstern des Windes zwischen den verlassenen Gebäuden begrüßte sie.
    Sie hatte das Gefühl, als wandle sie durch einen Traum. Der Erinnerungsstein war fast undurchdringlich für das organische Leben darum herum. Solange er sich daran erinnerte, was er sein sollte, wies er die tastenden Wurzeln der Pflanzen zurück.
    Tiere, welche die Stadt als Nist-und Wohnplätze ausgesucht hatten, wurden von den Erinnerungen der Steine an Männer und Frauen abgeschreckt, die hier gelebt hatten. Selbst nach all den Jahren sah sie nur spärliche Anzeichen dafür, dass die Natur diese Stadt schließlich doch zurückerobern würde. Moos hatte in den feinen Spalten der Gehwege Fuß gefasst. Krähen und Raben hatten einige Nester auf Fensterbretter oder in Dachgiebel gezwängt. Algen bedeckten die Ränder der Brunnen, die das Regenwasser in geschmückten Bassins auffingen.
    Kuppeln waren von selbst eingesackt. Die äußeren Wände einiger Gebäude waren bei einem längst vergangenen Erdstoß eingestürzt. Das Innere der Kammern lag sichtbar da, und auf der Straße darunter verteilten sich die Trümmer. Letzten Endes triumphierte die Natur immer. Die Stadt der Altvorderen würde irgendwann doch von der Wildnis geschluckt werden, und dann würde sich niemand mehr an die Zeit erinnern, in der Menschen und Drachen nebeneinander existiert hatten.
    Es überraschte Tintaglia, dass sie überhaupt einen solchen Gedanken hegte. Die Menschheit, wie sie sich jetzt verhielt, gefiel ihr wenig. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, flüsterten ihre Urahnen in einem Winkel ihres Gehirns, als sich Drachen-Essenz mit der Natur des Menschen vermischt hatte. Aus dieser zufälligen Mischung waren die Altvorderen hervorgegangen.
    Sie waren groß und schlank gewesen, drachenäugig und mit goldener Haut. Diese uralte Rasse hatte mit den Drachen zusammengelebt und sich in dieser Symbiose gesonnt. Tintaglia ging langsam über die Straßen, die so breit angelegt worden waren, damit ein Drache bequem auf ihnen dahinschreiten konnte. Sie kam zur Halle der Regierung und stieg die breiten, flachen Stufen hinauf. Diese Treppe war so entworfen worden, damit ihre Art auf elegante Weise Zugang zu den Versammlungshallen der Altvorderen finden konnte. Die Außenwände des Gebäudes glänzten immer noch schwarz, während strahlend weiße Relieffiguren das Äußere schmückten. Cariandra, die Fruchtbare, pflügte immer noch unermüdlich ihre Felder hinter ihrem massigen Ochsengespann, während die Figur neben ihr, Sessicaria, ihre weiten Schwingen ausbreitete und lautlos trompetete.
    Tintaglia schritt zwischen den reglosen Steinlöwen hindurch, die den Eingang bewachten. Eines der Portale war bereits zusammengebrochen. Als sie an der anderen ungeheuren Holztür vorbeiging, streifte sie das Holz zufällig mit ihrem Schwanz.
    Daraufhin sackte es zu einem Haufen aus Splittern und Bruchstücken zusammen. Holz hatte nicht die Erinnerungskraft von Stein.
    Im Inneren waren polierte Eichenholzgestelle zu Haufen aus Holzstaub zerfallen, begraben unter ihren steinernen Tischplatten, die sie einst gestützt hatten. Eine dicke Staubschicht bedeckte die Fenster. Das Sonnenlicht drang nur spärlich hindurch. Fadenscheinige Reste einstmals prächtiger Gobelins hingen wie zerfetzte Spinnweben an den Wänden. Hier häuften sich die Erinnerungen und schrieen sie an, aber Tintaglia konzentrierte sich auf diesen Tag und diese Zeit. Nur Schweigen, Staub und der Wind, der missmutig durch ein zerbrochenes Fenster raunte, umgaben sie jetzt. Vielleicht waren irgendwo in diesem Gebäude noch geschriebene Aufzeichnungen erhalten.
    Aber verblasste Worte auf zerkrümelndem Pergament waren kein Trost für sie. Hier gab es nichts für sie zu holen.
    Sie blieb noch einen Moment stehen und sah sich um. Dann richtete sie sich auf ihre mächtigen Hinterbeine auf, reckte den Hals, schrie ihren Ärger heraus und trompetete den Geistern dieses Ortes ihre Enttäuschung über den Verrat entgegen. Der Hauch ihrer Stimme wirbelte die abgestandene Luft in dem Raum durcheinander. Ihr Schwanz schwang herum, zermalmte die Bruchstücke von Tischen und Bänken und fegte eine Marmorbank in eine Ecke. Auf der anderen Seite der Eingangshalle sank ein zerschlissener Gobelin endgültig in einem staubigen

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