Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
Haufen zu Boden. Eine Wolke aus Staubflocken stieg empor.
Tintaglia peitschte mit ihrem Schwanz hin und her und trompetete immer und immer wieder ihre Wut hinaus.
Doch ebenso schnell, wie der Anfall gekommen war, verging er auch wieder. Sie ließ ihre Vorderbeine auf den kühlen schwarzen Boden zurücksinken. Dann verstummte sie und lauschte dem Echo ihrer eigenen Stimme, bis es verklang. Es stirbt, dachte sie. Genauso wie alle anderen. Also bin ich das letzte alberne Echo, das von diesen Steinen zurückgeworfen wird, ein Echo, das niemand hört.
Sie verließ die Halle und schritt über die verlassenen Straßen der toten Stadt. Es wurde allmählich dunkel. Sie war so schnell geflogen, um hierher zu gelangen, nur um schließlich Tod und Verwesung vorzufinden. Die treuen Erinnerungen der Steine hatten ihren Platz unverrückbar gehalten. Die Stadt war schon vor Jahrhunderten untergegangen, aber dennoch hatte das Leben sie noch nicht zurückerobern können. Die Moosränder in den Steinritzen der Straßen waren erbärmliche Versuche. Typisch Menschen, dachte Tintaglia verächtlich. Was sie nicht mehr benutzen können, wollen sie auch nicht von anderen Geschöpfen nutzen lassen. Einen Moment später überraschte sie die Bitterkeit des Gedankens. Glaubte sie denn wirklich, dass die Altvorderen nicht anders waren als die Menschen, die sie so viele Jahre eingekerkert hatten?
Ein Brunnen mit einer Steineinfassung und den Resten einer Winde lenkte sie ab. Bei diesem Anblick durchströmte sie Vorfreude. Ach ja. Hier hatten andere ihrer Art vor langer Zeit getrunken, kein Wasser, sondern das flüssige Silber der Magie, die den Erinnerungsstein durchzog. Selbst für einen Drachen war das ein mächtiges Rauschmittel gewesen. Es unverdünnt zu trinken bedeutete, die Einheit mit dem Universum zu begreifen. Die Erinnerung war quälend. Sie empfand ein plötzliches Sehnen nach dieser Vereinigung. Sie schnüffelte am Rand des Brunnens und spähte dann hinein. Als sie den Kopf drehte, nahm sie einen entfernten Schimmer von Silber am Grund wahr, aber sicher war sie sich nicht. Leuchteten selbst am Tag nicht am Grund der tiefsten Brunnen die Sterne? Vielleicht war es ja nur das. Auf jeden Fall befand es sich weit außerhalb der Reichweite ihrer Zähne oder Klauen. Sie würde ihr Maß an flüssiger Magie hier nicht trinken. Kein Drache würde das jemals wieder tun. Es war eine Folter für sie, sich an dieses unstillbare Vergnügen zu erinnern. Und es machte ihr die Qual ihrer Einsamkeit noch deutlicher. Mit voller Absicht zertrümmerte sie die rostigen Überreste der Winde und schleuderte sie in den Brunnen hinab. Dann lauschte sie dem Klappern, als die Stücke das schmale Loch hinunterfielen.
Malta hatte die Augen geschlossen, um die Helligkeit des Flusses fern zu halten. Als sie sie wieder öffnete, dunkelte es bereits. Doch selbst diese kleine Gnade wurde von der Abendkühle begleitet. Der erste Moskito summte entzückt an ihrem Ohr vorbei. Malta versuchte, mit der Hand danach zu schlagen, aber ihre Muskeln waren steif, als wären sie im Schlaf eingerostet. Mit einem schmerzerfüllten Stöhnen hob sie den Kopf.
Kekki war in sich zusammengesackt und lag halb auf dem Sitz, halb auf dem Boden des Boots.
Sie wirkte wie tot.
Alles in Malta sträubte sich dagegen. Sie wollte nicht mit einer Toten hier in dem Boot festsitzen. Niemals! Dann wurde ihr klar, wie albern der Gedanke war, und sie lächelte bitter.
Was sollten sie tun, wenn Kekki tot war? Sie über den Rand des Kahns hieven, in das ätzende Wasser? Sie konnte kaum ihre Zunge im Mund bewegen, aber sie stieß ein krächzendes »Kekki?« hervor.
Die Gefährtin bewegte ihre Finger auf den feuchten Bodenplanken. Es war zwar nur ein schwaches Zucken, aber wenigstens bedeutete es, dass sie noch nicht tot war. Ihre Position musste schrecklich unbequem sein. Malta hätte sie gern einfach liegen lassen, aber irgendwie brachte sie das nicht fertig. Sie zog die Knie an und musste sich zwingen, sich auf den Boden des Boots zu setzen. Alle Muskeln in ihrem Körper protestierten. Dann versuchte sie mühsam, Kekki in eine sitzende Haltung aufzurichten. Aber mehr als sie anzustoßen vermochte sie nicht. Schließlich hüllte sie Kekki fester in die Reste ihres Seidenkleids und tätschelte ihr Gesicht.
»Hilf mir zu leben.« Das Flehen der Gefährtin war nur ein klägliches Wispern. Sie hatte nicht einmal die Augen geöffnet.
»Ich versuche es.« Malta glaubte, dass sie die Worte nur stumm
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