Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Fehler… Du bist unnatürlich. Du wolltest ein Mann sein. Hast die Familie beschämt. Und das Schiff dazu gebracht, mich zu hassen. Deine Schuld. Alles deine Schuld.«
Althea hörte die Worte kaum. Stattdessen erkannte sie, wie mühsam er darum rang, Worte zu finden und sie auszusprechen. Kyle holte tief Luft, und sein Gesicht war rot gefleckt von der Anstrengung. »Ich verfluche dich! Stirb auf diesem verrückten Schiff! Ich wünsche dir das Pech an den Hals! Tote Männer an Bord! Du wirst auf diesem Deck sterben! Merk dir meine Worte! Ich verfluche dich! Euch alle! Ich verfluche Euch!« Er breitete seine zitternden Hände weit aus, und Speichel tropfte ihm aus dem Mund.
Althea starrte ihn schweigend an. Der wahre Fluch bestand darin, dass er Keffrias Ehemann war, der Vater von Wintrow, Malta und Selden. Es war ihre Pflicht, ihn zu seiner Familie zurückzubringen. Allein bei dem Gedanken gefror ihr das Blut in den Adern. Hatte Malta nicht schon genug gelitten? Sie hatte diesen Mann idealisiert. Musste sie tatsächlich ihrer Schwester dieses verbitterte Wrack zurückgeben?
Als seine Worte die Schwester seiner Frau nicht zu beeindrucken schien, verzerrte sich sein Gesicht vor Wut. Er spie auf das Deck vor sie, um sie zu beleidigen. Althea war nur angewidert. Sie fand endlich die Sprache wieder. »Kyle«, sagte sie ruhig. »Lass ihn vorbei, um seiner Mutter willen. Sie trauert. Lass sie vorbei.«
Während Kyle sie anstarrte und ihre Worte langsam in ihn einsickerten, schoben sich die Matrosen mit Kennits Leichnam an ihm vorbei. Mutter folgte ihnen und warf Kyle einen vorwurfsvollen Blick zu. Etta war an ihrer Seite. Sie sah Althea kurz an. Der Blickwechsel bedurfte keiner weiteren Erklärungen. »Danke«, sagte Etta leise und bedauernd, während in ihrem Blick Hass brannte. Aber er galt nicht Althea, sondern entsprang der beschämenden Wahrheit, die sie beide quälte. Althea zuckte vor dieser Erkenntnis zurück, als hätte sie sie versengt. Kennit hatte sie vergewaltigt. Etta wusste es, und dieses Eingeständnis trübte ihre Erinnerungen. Keine der beiden Frauen konnte dem entkommen, was er ihnen angetan hatte.
Althea sah zur Seite, und ihr Blick fiel auf Kyle. Er knurrte immer noch und schwang schwächlich seine Fäuste, während er von ihnen wegschlurfte. Sein linker Fuß kippte dabei merkwürdig nach außen.
»Nachts in unserer Kabine hast du oft gesagt, dass du dich danach sehnst, ihm noch einmal zu begegnen«, sagte Amber ruhig. »Um ihn mit dem zu konfrontieren, was er getan hat.«
»Er hat mir mein Schiff genommen und meine Träume zerstört.« Sie sprach die Anschuldigung laut aus. Jetzt klangen die Worte beinahe merkwürdig in ihren Ohren. Althea konnte den Blick nicht von dem humpelnden Mann abwenden. »Sa sei mit uns allen.« Die Begegnung hatte nur wenige Sekunden gedauert, aber sie fühlte sich um Jahre gealtert. Sie riss den Blick von Kyle los und sah ihre Freundin an. »Jetzt bin ich zweimal an einem Tag um meine Rache betrogen worden«, bemerkte sie. Ihre Stimme bebte.
»Empfindest du das wirklich so?« Amber sah sie überrascht an.
Althea lauschte dem nach, was sie wirklich fühlte, und war verblüfft. »Nein, eigentlich nicht. Ich bin dankbar. Für mein Leben, für meinen unversehrten Körper. Für einen Mann wie Brashen in meinem Leben. Bei Sas Odem, Amber, ich habe keinen Grund, mich zu beschweren.« Sie schien plötzlich aus einem Albtraum zu erwachen. »Wir müssen das hier überleben, Amber. Wir müssen es einfach. Ich habe noch ein Leben zu leben.«
»Das hat jeder von uns«, antwortete Amber und blickte über das Wasser auf die Decks der miteinander verkeilten Schiffe, auf denen die Männer um ihr Leben kämpften. »Und einen Tod zu sterben«, fügte sie leiser hinzu.
»Was würde Kennit jetzt tun?«, fragte sich Wintrow, während er beobachtete, wie sich der Kreis der Schiffe immer weiter schloss. Er hatte die Männer von dem jamaillianischen Schiff aufgenommen, weil er nicht das Herz hatte, sie einfach ertrinken zu lassen oder zuzusehen, wie sie gefressen wurden.
Schwäche hätte Kennit das sicher genannt. Denn er vergeudete wertvolle Zeit, während er eigentlich schon längst hätte fliehen sollen. Jola kettete die Männer auf seinen Befehl hin gehorsam an das Schiffshaus. Diese Vorstellung bereitete ihm Unbehagen. Aber jetzt war keine Zeit mehr für Gewissensbisse. Er allein musste hier entscheiden. Kennit war tot und Etta fort, weil sie um ihn trauerte. Althea war ebenfalls
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