Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
zum Paragon hinübergewechselt. Wintrow hatte das Kommando über die Viviace übernommen, denn er konnte nicht dulden, dass Jola sie befehligte. Doch jetzt, wo er das Kommando hatte, fürchtete er, dass er sie und alle Matrosen an Bord verlieren würde. Er erinnerte sich an das letzte Mal, als er die Kontrolle über das Schiff ergriffen hatte. Damals hatte er seinen Vater ersetzt, um die Viviace durch einen Sturm zu führen. Jetzt trat er an Kennits Stelle, und das mitten in einer Seeschlacht. Trotz der Zeitspanne, die zwischen diesen beiden Ereignissen verstrichen war, fühlte sich Wintrow noch genauso unsicher. »Was würde Kennit tun?«, fragte er sich erneut. Sein Verstand wollte einfach nicht funktionieren.
»Kennit ist tot.« Viviace sprach diese harte Wahrheit sanft aus. »Und du lebst. Wintrow Vestrit, du hast es in der Hand. Rette uns beide.«
»Wie denn? Ich weiß nicht wie.« Er sah sich erneut um. Er musste schnell reagieren. Die Mannschaft vertraute ihm. Sie hatte bisher alle seine Befehle bereitwillig befolgt, und jetzt stand er wie betäubt da, während der Tod sich ihnen näherte.
Kennit hätte gewusst, was zu tun war.
»Hör damit auf!« Sie sprach laut, aber auch in seinem Kopf.
»Du bist nicht Kennit. Du kannst nicht so kommandieren, wie er es getan hat. Du musst wie Wintrow Vestrit befehlen. Du sagst, du hast Angst zu scheitern. Was hast du Etta erzählt, und zwar so oft, dass es mir bis in die Seele gedrungen ist? ›Wenn du Angst vor dem Versagen hast, fürchtest du etwas, was noch gar nicht geschehen ist. Du sagst dein eigenes Scheitern voraus, und weil du nicht reagierst, versinkst du darin.‹ War das nicht genau das, was du ihr gesagt hast?«
»Hunderte Male«, erwiderte er und musste lächeln. »Damals, als sie nicht einmal versuchen wollte zu lesen. Und auch bei vielen anderen Gelegenheiten.«
»Und?«
Er holte tief Luft und sammelte sich. Erneut betrachtete er die Schlacht. Seine lange zurückliegende Ausbildung aus dem Kloster fiel ihm plötzlich wieder ein. Er holte erneut tief Luft.
Als er sie ausstieß, ließ er mit ihr allen Zweifel aus sich herausströmen. Plötzlich sah er die Schlacht wie eine Konfiguration auf Ettas Spielbrettern. »Im Konflikt liegt Schwäche. Dort werden wir durchbrechen!« Er deutete auf die Marietta und die Motley , die bereits beide mit den jamaillianischen Schiffen kämpften. Einige andere Schiffe segelten darauf zu, um sich an der Schlacht zu beteiligen.
»Dort?« Jetzt schien Viviace plötzlich selbst Zweifel zu bekommen.
»Dort. Und wir werden alles tun, was wir können, um die beiden Schiffe ebenfalls zu befreien.« Er hob die Stimme.
»Jola!«, kommandierte er. »Wenden! Die Bogenschützen sollen sich bereitmachen! Wir verschwinden!«
Diese Befehle hatten sie offensichtlich nicht erwartet. Aber nachdem ihm klar geworden war, dass er seine Freunde nicht im Stich lassen konnte, fiel ihm die Entscheidung leicht.
Viviace reagierte willig auf das Ruder, und zum Glück war der Wind auf ihrer Seite. Paragon folgte ihnen, ohne zu zögern.
Wintrow erkannte Brashen Trell am Ruder. Dieser einfache Vertrauensbeweis stärkte sein Selbstbewusstsein. »Zögere nicht!«, drängte er das Schiff. »Wir werden schon dafür sorgen, dass sie uns ausweichen!«
Ein jamaillianisches Schiff scherte aus, um sie abzudrängen.
Es war ein kleineres Boot, schlank und flink, und an seiner Reling standen Bogenschützen aufgereiht. Als ihre Geiseln schrien, schienen die Schützen zu zögern, doch einen Augenblick später feuerten sie ihre Pfeile ab. Wintrow warf sich flach zu Boden, sodass die beiden Pfeile, die auf ihn gezielt waren, ihn verfehlten. Ein anderer traf Viviaces Schulter, prallte jedoch ab. Sie schrie wütend auf. Ihr Schrei war so schrill wie der einer Seeschlange. Hexenholz hatte von einem gewöhnlichen Pfeil nichts zu befürchten. Teertöpfe und Flammen waren allerdings eine andere Sache. Doch Wintrow vermutete ganz richtig, dass die Jamaillianer sie in diesem Gedränge nicht einsetzen würden. Die Gefahr war viel zu groß, dass der Wind die Flammen von ihrem Segel zu dem eines anderen Schiffes trug. Viviaces Bogenschützen erwiderten die Salve, allerdings viel gezielter. Das kleinere Boot drehte hastig ab. Wintrow hoffte, dass sich die Nachricht von ihren Geiseln rasch herumsprach.
Gerade als er glaubte, sie wären unbeschadet davongekommen, stürzte ein Mann aus der Takelage. Ein Pfeil hatte seine Kehle durchbohrt. Gankis war lautlos
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