Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
dass er im Moment seines Todes zu mir zurückgekommen ist. Das wusste ich schon immer. Aber ich glaube nicht, dass es Kennit klar war, bis es dann geschah.«
Sie holte tief Luft und fragte dann erstickt: »Also bist du jetzt Kennit?«
»Nein, tut mir Leid. Kennit ist ein Teil von mir. Er vervollständigt mich. Aber ich bin unwiderruflich Paragon.« Es tat gut, diese Erklärung zu geben. Vermutlich war es schmerzhaft für sie, das zu hören. Zu seiner Überraschung fühlte er echte Trauer, dass er ihr wehtun musste. Er versuchte sich an das letzte Mal zu erinnern, als er ein solches Gefühl verspürt hatte, aber es gelang ihm nicht. War das vielleicht noch ein Aspekt der Ganzheitlichkeit: die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden? Es würde eine Weile dauern, bis er sich daran gewöhnt hatte, solche Dinge zu fühlen.
»Dann ist er verschwunden«, sagte Etta leise. Er hörte, wie sie mühsam Luft holte. »Aber warum konntest du ihn nicht so heilen, wie Viviace Wintrow geheilt hat?«
Er dachte eine Weile schweigend nach. »Du sagst, sie hätte ihn geheilt? Ich weiß davon nichts und kann nur raten, was sie gemacht hat. Drachen können so etwas vollbringen, wenn es nötig ist. Sie verbrennen ihre Körperreserven, um eine Heilung zu beschleunigen. Falls Viviace das mit Wintrow gemacht hat, hat er Glück gehabt, dass er es überlebte. Nur sehr wenige Menschen verfügen über so viel Kraft. Kennit besaß sie sicherlich nicht.«
Sie schwieg lange. Es wurde immer dunkler. Doch selbst die Dunkelheit war für seine wiedergewonnene Sehkraft eine Freude. Die Nacht war nicht wirklich dunkel. Er blickte zum Himmel empor, zu den Wolken, die den Mond und die Sterne erst verdunkelten und dann wieder freigaben. Die Umrisse der Wellen schimmerten im Licht der Sterne. Sein scharfer Blick, Teil seines Drachenvermächtnisses, machte die dunklen Umrisse der Schiffe aus, denen er folgte.
»Würdest du etwas von ihm wissen, ich meine von Kennit? Wenn ich dich etwas fragen würde, könntest du mir sagen, ob es stimmt?«
»Vielleicht.« Paragon zögerte und sah sie an. Sie hatte ihre Hände von der Reling genommen und spielte mit einem Armband an ihrem Handgelenk.
»Hat er mich geliebt?« Die Frage platzte aus ihr heraus, und ihre Intensität verriet ihren Schmerz. »Hat er mich wirklich geliebt? Das muss ich einfach wissen.«
»Kennit ist ein Teil von mir. Aber ich bin nicht Kennit.«
Paragon kämpfte wütend mit sich selbst. Sie trug ein Kind, das Kind, das ihm schon so lange versprochen war. Paragon Ludluck. Ein Kind, das geliebt werden musste, und zwar ohne jeden Vorbehalt.
»Wenn du seine Erinnerungen hast, dann weißt du auch die Wahrheit.« Etta war hartnäckig. »Hat er mich geliebt?«
»Ja, er hat dich geliebt.« Er sagte ihr das, was sie hören musste, ohne Gewissensbisse. Ich habe zwar Kennits Erinnerungen, aber ich bin nicht Kennit. Trotzdem kann ich genauso gut lügen wie er. Vor allem für eine weit bessere Sache.
»Er hat dich so sehr geliebt, wie sein Herz lieben konnte.« Das wenigstens entsprach der Wahrheit.
Danke. Klar und kurz wie ein Regentropfen erreichte ihn dieser Gedanke. Paragon suchte nach der Quelle, fand sie aber nicht. Das Gefühl der Stimme war ihm merkwürdig vertraut, als wäre es Kennits, aber sie war eindeutig von außen gekommen.
»Danke«, wiederholte Etta ahnungslos das Wort. »Ich danke dir mehr, als du wissen kannst. Für uns beide.« Sie ging rasch weg und ließ ihn mit dem Geheimnis allein. Vor ihm auf dem Deck der Motley flammte plötzlich eine Laterne auf. Sie wurde dreimal in die Höhe gehalten und einmal geschwungen, dann wurde sie wieder erstickt. Es war immer noch eine Überraschung für ihn, über Kennits Erinnerungen zu verfügen.
Deshalb konnte er die alten Piratensignale leicht entziffern.
Brashen wurde auf die Viviace gerufen.
»Hoffentlich ist das wirklich wichtig«, knurrte Brashen Althea zu, als sie sich in die Riemen legten. Etta und Amber bedienten das andere Ruderpaar. Der starke Wind blies Amber ihr zerzaustes Haar ins Gesicht. Etta blickte starr geradeaus.
»Das ist es bestimmt«, erwiderte Althea leise. Sie kämpften angestrengt gegen den Wind, das Wasser und die Dunkelheit, um das führende Schiff einzuholen. Die vier Schiffe hatten die Abstände zwischen sich zwar verkürzt, hatten jedoch nicht angehalten, nicht einmal für dieses Treffen. Viviace führte sie auf ihrem Weg durch ein Labyrinth kleiner Inseln an. Einige ragten steil und felsig auf, während andere
Weitere Kostenlose Bücher