Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
als wüsste er es nicht. Und auch sinnlos, es weiterhin geheim zu halten. Es fühlte sich beinahe gut an, es mit jemandem zu teilen. »Hexenholz. Kennit hat ein Stück von meinem Gesicht behalten. Eine seiner Pflichten war es, beim Kochen zu helfen. Er kochte es in der Suppe aus. Beinahe die ganze Mannschaft von Igrot ist daran gestorben.« Er fühlte, wie sie zusammenzuckte.
Er versuchte, es ihr verständlich zu machen. »Kennit hat nur beendet, was Igrot angefangen hatte. Auf dem Schiff fingen die Männer an zu sterben. Igrot ließ zwei Seeleute wegen Ungehorsam kielholen. Sie ertranken beide. Zwei andere sind während einer Nachtwache über Bord gegangen. Dann gab es einen dummen Unfall in den Wanten. Drei starben. Wir waren der Meinung, dass Igrot dahinter steckte. Vermutlich wollte er sich aller Zeugen entledigen, die wussten, wo der Schatz versteckt war. Einschließlich Kennit.« Er zwang sich, seine Fäuste zu öffnen. »Wir mussten es tun, verstehst du? Um Kennits Leben zu retten.«
Amber schluckte, aber sie stellte die Frage trotzdem. »Und die, die nicht durch die Suppe gestorben sind?«
Paragon holte tief Luft. »Kennit hat sie trotzdem umgebracht. Die meisten waren zu betäubt, um sich zu wehren. Ich glaube, drei haben es geschafft, ein Boot zu Wasser zu lassen und zu entkommen. Aber ich glaube nicht, dass sie überlebt haben.«
»Und Igrot?«
Der Dschungel war so schwarz und friedlich. Lebewesen bewegten sich darin, außerhalb des Lichtkreises der Laterne.
Schlangen und Nachtvögel, kleine Baumwesen, mit Fell und mit Schuppen. Viele Dinge lebten und bewegten sich in dem dichten Unterholz.
»Kennit hat ihn zu Tode geprügelt. Unter Deck. Du hast die Spuren dort gesehen. Die Handabdrücke eines kriechenden Mannes.« Er holte tief Luft. »Es war gerecht, Amber. Nur gerecht.«
Sie seufzte. »Rache für euch beide. Für all die Male, wo er Kennit beinahe totgeprügelt hätte.«
Er nickte. »Er hat ihn zweimal tatsächlich tot geschlagen. Einmal ist der Junge auf meinem Deck gestorben. Aber ich konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Das brachte ich nicht fertig. Er war alles, was ich hatte. Ein anderes Mal hat er sich unter Deck in seinem Versteck zusammengerollt und ist ganz langsam gestorben. Er ist innerlich verblutet und wurde kalt, immer kälter. Er hat nach seiner Mutter gerufen.« Paragon seufzte. »Ich habe ihn bei mir gehalten, das Leben in ihn hineingepumpt und seinen Leib gezwungen, sich so gut zu regenerieren, wie er konnte. Dann habe ich ihn wieder in seinen Körper zurückgezwungen. Ich habe mich zwar gefragt, ob noch genug von ihm übrig war, um einen ganzen Menschen zu bilden, aber ich tat es trotzdem. Ich war egoistisch. Ich habe es nicht für Kennit getan. Sondern für mich. Damit ich nicht wieder allein war.«
»Also bestand er eigentlich genauso sehr aus dir wie aus ihm selbst?«
Paragon hätte beinahe gelacht. »Eine solche Trennung existierte zwischen Kennit und mir nie.«
»Und deshalb musstest du ihn wiederbekommen?«
»Er konnte nicht ohne mich sterben. Genauso wenig wie ich wirklich ohne ihn leben konnte. Ich musste ihn einfach wiederhaben. Bis ich wieder ganz war, war ich auch verwundbar. Ich konnte mich nicht von anderen abgrenzen. Jedes Blutvergießen auf meinem Deck war eine Qual für mich.«
»Oh.«
Amber schien lange geneigt zu sein, es dabei zu belassen. Sie lehnte sich an ihn. Ihr Atem wurde so tief und regelmäßig, dass er schon glaubte, sie wäre eingeschlafen. Hinter ihm auf dem Deck flogen Insekten gegen das Glas der Laterne. Er hörte, wie Semoy seinen langsamen Rundgang über das Deck machte. An der Laterne blieb er stehen. »Alles in Ordnung?«, fragte er Paragon.
»Alles in Ordnung«, antwortete das Schiff. Paragon mochte Semoy. Der Mann verstand es, sich aus Dingen herauszuhalten, die ihn nichts angingen. Seine Schritte wurden schwächer.
»Hast du dich jemals gefragt«, sagte Amber leise, »wie sehr du die Welt verändert hast? Nicht nur, weil du Kennit am Leben erhalten hast, sondern einfach durch deine bloße Existenz.«
»Du meinst, weil ich ein Schiff bin und kein Drache?«
»Das auch.« Eine kurze Handbewegung von ihr umfasste all seine Leben.
»Ich habe gelebt«, antwortete er schlicht. »Und ich bin am Leben geblieben. Vermutlich hatte ich genauso viel Recht dazu wie alle anderen.«
»Absolut.« Sie drehte sich um und lehnte sich dann in seinen Armen zurück, um hochzublicken. Er folgte ihrem Blick, sah aber nur Dunkelheit. Über den
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