Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
am meisten von ihnen. Bleib hier, und du bist bald vollkommen zerbissen.«
»Ich brauche sie nur kurz.« Sie holte Luft, und er spürte, wie eine ungewohnte Aufregung sie durchströmte. Sie klang beinahe, nervös. »Paragon, du hast uns angeboten, deinen Schatz mit uns zu teilen. Ich habe etwas gefunden, etwas, das ich unbedingt haben möchte.«
Er sah sie an. Sie trug ihr Nachthemd, ein langes, weites Kleidungsstück, das bis zu ihren Füßen reichte. Ihr strähniges Haar fiel ihr über die Schultern. Die Schlangenwunden schimmerten immer noch hellweiß. Die Zeit würde diese Narben vielleicht heilen, jedenfalls redete er sich das gern ein.
Ihre Augen funkelten im Licht der Laterne. Er merkte, dass er ihr Lächeln erwiderte. »Also, was ist das für ein Schatz, den du besitzen musst? Gold? Silber? Juwelen der Altvorderen?«
»Das hier.« Sie bückte sich zu einem groben Leinensack vor ihren Füßen, machte ihn auf und griff hinein. Sie zog einen geschnitzten Reif daraus hervor. Sie behandelte ihn beinahe ehrfürchtig, als sie ihn durch ihre Hände gleiten ließ. Dann setzte sie ihn sich kühn auf den Kopf und sah ihn an. »Such in deinen Drachenerinnerungen, wenn du kannst. Für mich. Erinnerst du dich daran?«
Er sah sie schweigend an. Sie erwiderte seinen Blick und wartete. Das Diadem war mit den Köpfen von Vögeln geschmückt. Nein. Hühnern. Er sah sie fragend an. Bedauernd nahm sie den Reif ab und reichte ihn Paragon. Er nahm ihn vorsichtig in die Hand. Holz. Geschnitztes Holz. Er schüttelte den Kopf. Gold und Silber, Juwelen und Kunst. Er hatte ihr die wertvollsten Schätze der Verwunschenen Ufer geboten, und was wählte die Handwerkerin? Einen Holzreif.
Sie versuchte erneut, eine Reaktion aus ihm herauszulocken.
»Er war einmal vergoldet. Siehst du, du kannst noch etwas Gold in den Rillen der Hahnenköpfe erkennen. Und hier sind auch Löcher, in denen man Schwanzfedern einsetzen konnte. Aber die sind schon lange verrottet.«
»Ich erinnere mich«, sagte er zögernd. »Aber das ist alles. Jemand hat ihn getragen.«
»Wer?« Ihre Stimme klang ernst. Er hielt ihr den Reif hin und sie nahm ihn. Sie schüttelte das Haar aus dem Gesicht und setzte sich dann die Hahnenkrone wieder auf. »Jemand wie ich?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»Oh.« Er überlegte und bemühte sich, sich an sie zu erinnern.
»Es tut mir Leid«, sagte er schließlich. »Sie war keine Altvordere. Mehr weiß ich nicht mehr von ihr.« Die Frau, die sie getragen hatte, war so blass wie Milch gewesen. Ganz und gar nicht wie Amber.
»Ist schon gut«, versicherte sie ihm schnell, aber er spürte ihre Enttäuschung. »Wenn es dir nichts ausmacht, würde ich das gern behalten.«
»Natürlich. Haben die anderen etwas dagegen?«
»Ich habe sie nicht gefragt«, antwortete sie verlegen. »Diese Chance wollte ich ihnen nicht geben.« Sie nahm den Reif wieder ab und strich zärtlich mit den Fingern über das Schnitzwerk.
»Er gehört dir«, sagte Paragon. »Nimm ihn mit, wenn du gehst.«
»Aha. Du hast also erraten, dass ich weggehe?«
»Allerdings. Willst du nicht einmal bis zum Hochsommer bei mir bleiben? Das ist die Zeit, wenn ich zurückkehre, damit ich in der Nähe bin, wenn die Drachen schlüpfen.«
Ihre Finger fuhren die Details der geschnitzten Hahnenköpfe nach. »Vielleicht bleibe ich so lange. Aber ich muss irgendwann wieder nach Norden ziehen. Ich habe dort Freunde, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe.« Sie senkte die Stimme. »Ein Verdacht lässt mir keine Ruhe. Ich vermute, dass ich mich etwas mehr in ihr Leben einmischen sollte.« Sie lachte mit gespielter Leichtigkeit. »Ich hoffe, dass ich bei ihnen mehr ausrichten kann, als ich hier bewirkt habe.« Dann wirkte ihre Miene plötzlich besorgt. Sie kletterte auf die Reling.
»Nimm mich hoch«, sagte sie leise.
Er reichte ihr seine rechte Hand. Sie kletterte hinein, und er drehte sich um, um weiterhin den dichten Urwald zu betrachten. Es war viel einfacher, vom Licht ins Dunkel zu blicken. Friedlicher. Vorsichtig bewegte er sich, bis er die Arme vor der Brust gekreuzt hatte. Vertrauensvoll wie ein Kind saß sie auf seinen muskulösen Unterarmen und lehnte entspannt gegen ihn. Die Insekten um sie herum zirpten. Ihre nackten Beine baumelten über dem Wasser.
Sie war immer diejenige, welche die Fragen gestellt hatte, die andere vermieden. Und auch heute machte sie keine Ausnahme. »Wie sind sie umgekommen?«
Er wusste genau, was sie meinte. Es war sinnlos, so zu tun,
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