Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
würde das die rechtmäßige Besitzerin nicht wieder lebendig machen, sondern nur ihr eigenes Überleben noch mehr gefährden.
In den Deckel der Truhe war ein Spiegel eingearbeitet, aber Malta vermied es, hineinzublicken. Als sie die Truhe das erste Mal freudig geöffnet hatte, war ihr eigenes Spiegelbild das Erste gewesen, was sie sah. Die Narbe wirkte noch viel schlimmer, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie stand vor, eine doppelte Wölbung von blasser, gekräuselter Haut, die beinahe von ihrer Nasenwurzel bis in ihren Haaransatz reichte. Sie berührte die Narbe ungläubig und wich dann entsetzt von der Truhe zurück.
Der Satrap hatte nur gelacht.
»Verstehst du jetzt?«, verspottete er sie. »Ich habe es dir ja gesagt. Dein kurzer Moment der Schönheit ist vergangen, Malta. Du wärst klug, wenn du endlich lernen würdest, nützlich und gefügig zu werden. Mehr bleibt dir nicht mehr. Jede Form von Stolz ist nur noch reine Selbsttäuschung.«
Malta konnte auf seine hasserfüllten Worte nicht antworten.
Ihr fehlten die Worte, und sie war immer noch von dem Anblick ihres Spiegelbildes gefangen. Eine Weile hatte sie nur schweigend hingesehen, unfähig, sich zu rühren oder einen klaren Gedanken zu fassen.
Der Satrap brach den Bann, als er sie mit dem Fuß anstieß.
»Steh auf und mach dich nützlich. Ich werde heute Abend mit dem Kapitän dinieren, und du hast meine Kleidung noch nicht bereitgelegt. Außerdem bedeck doch in Sas Namen endlich diesen Riss in deinem Kopf. Es ist schon demütigend genug für mich, dass die ganze Mannschaft weiß, wie entstellt du bist, auch ohne dass du es öffentlich kundtust.«
Malta war wie betäubt und hatte ihm schweigend gehorcht. In dieser Nacht hatte sie wie ein Hund neben seinem Stuhl auf dem Boden der Kapitänskajüte gesessen. Sie erinnerte sich an Kekki, die unterwürfig, aber wachsam gewesen war. Aber bis auf einige Worte auf Jamaillianisch blieb das Tischgespräch unverständlich für sie. Von Zeit zu Zeit warf ihr der Satrap einen Brocken Nahrung zu. Nach einer Weile wurde ihr klar, dass es sich um Speisen handelte, die er probiert hatte und nicht mochte. Sie schwieg jedoch und lächelte förmlich, selbst als er heimlich seine Finger an ihrem Gewand abwischte.
Einmal sprachen die Männer am Tisch von ihr. Der Satrap sagte etwas, der Kapitän antwortete und dann lachten sie. Der Satrap versetzte ihr einen abfälligen Tritt, als wäre es ihm unangenehm, dass sie so dicht bei ihm hockte.
Es erstaunte Malta, wie tief sie das verletzte. Ihr Lächeln blieb unbewegt, während sie ins Leere starrte. Nach dem Essen rauchten die Männer seltene Lustkräuter aus Kapitän Deiaris eigener lackierter Vorratsdose. Später sollte ihr der Satrap herablassend erklären, dass es sich hier nicht um ein Piratenschiff handelte, sondern um eines seiner eigenen Patrouillenboote, dessen Fracht von Schmugglern und echten Piraten konfisziert worden war. Einer seiner bevorzugten Adligen in Jamaillia, fuhr er beiläufig fort, hatte sich an der Ausrüstung dieses Schiffes beteiligt und besaß folglich auch ein Interesse an seiner Ladung.
Malta hatte sich den ganzen Abend nichts anmerken lassen.
Selbst als sie dem Satrapen pflichtschuldig zurück in ihre Kajüte gefolgt war, ihm dabei geholfen hatte, sich auszuziehen, und seinen eher beiläufigen Avancen ausgewichen war, hatte sie ihre Haltung bewahrt. Erst als sie sicher war, dass er schlief, ließ sie ihren Tränen freien Lauf. Nützlich und gefügig. War das wirklich alles, was ihr im Leben blieb? Zu ihrer Bestürzung bemerkte sie, dass diese Worte wie die ihrer Mutter klangen.
Gefügig und nützlich ihrem chalcedeanischen Vater gegenüber sollte sie sein. Was würde Kyle wohl denken, wenn er sie jetzt sehen könnte? Wäre er entsetzt, oder würde er nur sagen, dass sie endlich gelernt hatte, sich wie eine anständige Frau zu benehmen? Es tat ihr weh, solche Dinge von jemandem zu glauben, den sie liebte. Sie hatte immer angenommen, dass er sie von all seinen Kindern am meisten bevorzugte. Aber wie liebte er sie? Als unabhängige junge Frau, als Händlertochter?
Oder würde er die Rolle mehr schätzen, die sie jetzt spielte?
Derselbe Gedanke verfolgte Malta jetzt, als sie die Miederschnüre des blauen Kleides strammzog und es fest gürtete, damit sie nicht auf den Saum trat. Sie flocht sich das Haar zu einem Dutt und steckte ihn sich auf dem Hinterkopf fest. Die Narbe verbarg sie unter einem Schal. Als sie fertig war, musterte sie sich
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