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Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche

Titel: Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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kalte, schwielige Füße, die in den warmen Handflächen standen.
    Die doppelte Mühsal dieser gegenseitigen Erinnerungen durchströmte ihn. Kennit erinnerte sich plötzlich daran, wie seine Sicht immer mehr eingeschränkt wurde, ihm stückchenweise verloren ging. Es war nicht so wie bei einem Menschen, der sein Augenlicht verlor. Es war eher so, als würde jemand ein Bild vor seinen Augen in Stücke schneiden und ihm nur Schwärze zurücklassen. Allein die Nachwirkung ließ Kennit taumeln, und ihm wurde einen Moment schwindlig.
    Als er wieder zu sich kam, umklammerte er die Reling. Das war ein Fehler. Er hatte nicht vorgehabt, etwas von dem Schiff mit seinen bloßen Händen anzufassen, und doch tat er es. Sie waren wieder verbunden. Durch Blut und Erinnerungen.
    »Paragon« , sagte er ruhig.
    Das Schiff erschauerte, aber die Galionsfigur hob nicht den Kopf. Sie schwiegen lange. »Kennit. Kennit, mein Junge.« Die tiefe, freundliche Stimme klang erstickt, und ungläubiges Wiedererkennen überwältigte alle anderen Gefühle. »Ich war so böse auf dich«, entschuldigte sich das Schiff staunend. »Und doch, kaum stehst du da, kann ich mir nicht einmal mehr vorstellen, dass ich wütend auf dich war.«
    Kennit räusperte sich. Es dauerte eine Weile, bevor er antworten konnte. »Ich hätte nicht erwartet, jemals wieder hier zu stehen. Und ich hätte auch nicht gedacht, jemals wieder mit dir zu reden.« Tief empfundene Liebe durchströmte das Schiff.
    Kennit kämpfte darum, seine Identität von Paragons Wesen getrennt zu halten. »Das ist nicht das, worauf wir uns geeinigt hatten, Schiff. Es entspricht ganz und gar nicht dem, worauf wir uns geeinigt hatten.«
    »Das weiß ich.« Paragon schlug die Hände vors Gesicht und sprach undeutlich durch die Finger. Er schämte sich, und dieses Gefühl durchströmte auch Kennit. »Ich weiß. Ich habe es versucht. Ich habe es wirklich versucht.«
    »Was ist passiert?« Kennit blieb beinahe gegen seinen Willen freundlich. Paragons tiefe Stimme erinnerte ihn an zähen Sirup, den man morgens über seine Pfannkuchen träufelte, an warme Sommertage, in denen er barfuß über das Deck lief, während seine Mutter seinen Vater bat, den Jungen zu größerer Vorsicht zu ermahnen. Diese ganzen Erinnerungen waren in das Holz des Schiffes eingesickert und bluteten jetzt in ihn hinein.
    »Ich bin auf den Meeresgrund gesunken und dort geblieben. Das habe ich getan. Das heißt, ich habe es versucht. Ganz gleich, wie viel Wasser ich auch in mich hineinließ, ich konnte nicht ganz versinken. Aber ich befand mich unter Wasser und blieb verborgen. Fische und Krabben kamen und haben die Knochen abgenagt. Ich fühlte mich gesäubert. Alles war still, kalt und nass.
    Doch dann tauchten die Schlangen auf. Sie haben mit mir geredet. Ich konnte sie zwar nicht verstehen, aber sie wollten einfach nicht aufgeben. Sie ließen nicht locker, schubsten mich herum, stellten mir Fragen und wollten etwas von mir. Sie wollten Erinnerungen, baten mich um meine Erinnerungen, aber ich habe das Versprechen gehalten, das ich dir gegeben habe. Ich habe meine Erinnerungen versteckt. Das machte sie wütend. Sie verfluchten mich, und sie verhöhnten mich, verspotteten mich und… Ich musste es einfach tun, weißt du?
    Ich wusste, dass ich tot und vergessen sein sollte, aber sie wollten nicht, dass ich das blieb. Sie zwangen mich dazu, mich zu erinnern. Die einzige Möglichkeit, mein Versprechen dir gegenüber zu halten, war, wieder aufzusteigen. Und dann bin ich irgendwie nach Bingtown gekommen. Dort hat man mich aufgerichtet, und ich fürchtete schon, sie würden mich wieder auftakeln. Stattdessen hat man mich an den Strand gezogen und dort angekettet. Also konnte ich nicht sterben. Aber ich habe mein Bestes getan, um zu vergessen. Und vergessen zu werden.«
    Das Schiff schwieg.
    »Trotzdem bist du hier«, sagte Kennit. »Und nicht nur das, sondern du bringst auch Leute mit, die mich in meinen eigenen Gewässern töten wollen. Warum, Schiff? Warum hast du mich so hintergangen?« Seine Stimme klang wirklich gequält, als er fragte: »Warum zwingst du uns beide, uns dem wieder zu stellen?«
    Paragon zupfte an seinem Bart. »Es tut mir Leid, es tut mir Leid.« Die Stimme eines reuigen Jungen klang merkwürdig aus diesen bärtigen Lippen. »Ich wollte es nicht tun. Sie sind nicht hier, um dich zu töten. Sie haben gesagt, dass sie nur Altheas Schiff zurückhaben wollen. Sie wollten dir anbieten, die Viviace von dir zurückzukaufen.

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