Zauberschiffe 06 - Herrscher der drei Reiche
Ich wusste zwar, dass sie nicht genug Gold dafür hatten, aber ich hatte gehofft, dass du mich wieder haben wolltest, wenn du mich siehst. Dass du vielleicht um mich handeln würdest.«
Die Stimme wurde eine Spur verärgert.
Paragons Schock über Kennits Anwesenheit legte sich. »Ich dachte, wenn du mich sauber, aufgetakelt und geschmeidig im Wasser sähest, würdest du mich wiederhaben wollen. Ich dachte, ein Ludluck würde lieber sein rechtmäßiges Familienschiff zurückhaben wollen, als eines zu besitzen, das er gestohlen hat! Doch dann habe ich von den Lippen eines Piraten gehört, dass du immer schon ein Lebensschiff hattest haben wollen, ein Schiff wie sie. Dabei hattest du doch eins! Mich! Du hast mich jedoch einfach fallen lassen, mir befohlen, tot und vergessen zu bleiben. Und ich habe dem zugestimmt. Ich war einverstanden, zu sterben und alle Erinnerungen mit mir in die Tiefe zu nehmen.
Erinnerst du dich noch an diese Nacht? Die Nacht, in der du sagtest, dass du nicht mit solchen Erinnerungen leben wolltest, dass du dich töten müsstest, weil du nicht weiterleben könntest? Ich sagte, ich würde alle Erinnerungen nehmen, die schmerzhaften, die schlechten, selbst die guten aus Zeiten, die niemals wiederkämen. Ich wollte sie nehmen und sterben, damit du leben konntest und frei von ihnen warst. Und ich habe mir ausgedacht, wie wir sie alle umbringen könnten. Ich habe sie alle mit in die Tiefe genommen, alle, die wussten, was dir angetan worden war. Erinnerst du dich noch? Ich habe dein Leben für dich gesäubert, damit du weiterleben konntest. Du sagtest, du würdest niemals ein anderes Lebensschiff so lieben, wie du mich geliebt hast. Erinnerst du dich nicht daran?«
Die Erinnerungen strömten von der Reling über Kennits Hände in seine Seele und blieben dort. Er hatte vergessen, wie schmerzhaft solche Erinnerungen sein konnten. »Du hast es versprochen«, fuhr Paragon zitternd fort. »Du hast es versprochen, und du hast dieses Versprechen gebrochen, so wie ich meines gebrochen habe. Also sind wir quitt.«
Quitt. Das war die Sichtweise eines Jungen. Die Seele des Paragon war immer die eines Jungen gewesen, eines verlassenen und aufgegebenen Jungen. Vielleicht konnte nur ein anderer Junge, wie Kennit einer gewesen war, seine Liebe und Freundschaft so vollkommen gewinnen. Vielleicht hatte nur ein Junge, der genauso missbraucht und vernachlässigt worden war wie Paragon , während der langen Herrschaft von Igrot es an Kennits Seite aushalten können. Aber Paragon war ein Junge geblieben, ein Junge mit einer jungenhaften Logik, während Kennit ein erwachsener Mann geworden war. Ein Mann konnte sich harten Wahrheiten stellen und wusste, dass das Leben selten gerecht oder fair war. Außerdem gab es noch eine andere harte Wahrheit: Die kürzeste Strecke zwischen einem Mann und seinem Ziel war häufig eine Lüge.
»Glaubst du wirklich, dass ich sie liebe?« Kennit klang ungläubig. »Wie könnte ich das? Paragon, sie ist kein Blut von meinem Blut. Was könnten wir schon gemein haben? Erinnerungen? Das kann nicht sein: Ich habe sie bereits alle dir anvertraut. Du besitzt mein Herz, Schiff, von jeher. Ich liebe dich, Paragon. Nur dich. Schiff, ich bin du, und du bist ich.
Alles, was ich bin oder war, ist in dir verschlossen. Sicher und geheim bis… Es sei denn, du hättest es bereits anderen anvertraut.« Kennit ließ seine behutsamen Worte wie eine Frage klingen.
»Niemals!«, erklärte das Schiff entschieden.
»Gut, sehr gut. Fürs Erste. Aber wir beide wissen, dass es nur eine Möglichkeit gibt, wie sie für immer sicher sein können. Es gibt nur einen Weg, wie unsere Geheimnisse verborgen bleiben können.«
Seinen Worten folgte Schweigen. Kennit wartete. In ihm wuchs eine ruhige Zuversicht. Er hätte die Treue von Paragon niemals anzweifeln dürfen. Sein Schiff war ihm treu, wie es immer treu gewesen war. Er klammerte sich an diesen Gedanken und ließ ihn in seinem Herzen wachsen. Er sonnte sich in seiner Wärme und teilte diese Sicherheit mit Paragon.
Und jetzt, nur jetzt, gestattete er sich, das Schiff so zu lieben, wie er es einmal getan hatte. Er liebte es mit dem vollkommenen Vertrauen darauf, dass Paragon sich für das entscheiden würde, was für Kennit das Beste war.
»Was ist mit meiner Mannschaft?«, fragte Paragon müde.
»Nimm sie mit dir«, schlug Kennit vorsichtig vor. »Sie haben dir so gut gedient, wie sie konnten. Behalte sie für immer in dir. So bist du niemals von ihnen
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