Zaubersommer in Friday Harbor
hören.
„Was ist
das?”, fragte Lucy nach einer Weile und musterte den weißen Stoff in
Alices Händen.
„Mein
Schleier.” Alice zeigte ihr den perlenbesetzten Haarreifen, an dem der
Stoff befestigt war.
„Hübsch.”
Alice
wandte sich ihr zu, schniefte und klammerte sich mit beiden Händen wie ein
kleines Kind an den Ärmel von Lucys Shirt. „Kevin liebt mich nicht”,
flüsterte sie.
„Er liebt
niemanden”, gab Lucy zurück und legte den Arm um ihre Schwester.
Wieder ein
gequältes Flüstern. „Du glaubst, dass ich das verdient habe.”
„Nein.”
„Du hasst
mich.”
„Nein.”
Lucy drehte sich so weit, dass sie ihre Stirn auf die ihrer Schwester legen
konnte.
„Ich fühle
mich beschissen.”
„Das wird
wieder.”
„Ich weiß
nicht, warum ich das getan habe. Alles. Ich hätte ihn dir nicht wegnehmen
sollen.”
„Das
hättest du gar nicht gekonnt. Wenn er wirklich zu mir gehört hätte, wäre das
niemandem gelungen.”
„Ich bin so
traurig. Es tut mir so leid.”
„Ist schon
gut.”
Alice
schwieg lange, und ihre Tränen durchfeuchteten Lucys T-Shirt. „Ich konnte
nichts tun. Nie. Mom und Dad ... sie haben mir nie erlaubt, etwas
auszuprobieren. Ich fühlte mich nutzlos. Wie eine Versagerin.”
„Du meinst,
als Kind?”
Alice
nickte. „Und dann habe ich mich daran gewöhnt, dass andere alles für mich
erledigten. Wenn irgendetwas schwer wurde, gab ich auf, und immer brachte es
ein anderer für mich zu Ende.”
Jedes Mal,
wenn sie und ihre Eltern eingegriffen hatten, um Alice zu helfen, hatten sie
ihr damit zu verstehen gegeben, dass sie es nicht allein schaffen konnte. Das
wurde Lucy schlagartig bewusst.
„Ich war
immer neidisch auf dich”, fuhr Alice fort, „weil du alles tun konntest,
was du wolltest. Du hast keine Angst, vor nichts. Du brauchst niemanden, der
für dich sorgt.”
„Alice”,
sagte Lucy, „du brauchst keine Erlaubnis von Mom und Dad, dein Leben selbst in
die Hand zu nehmen. Such dir etwas, was du tun willst, und bleib dran. Gib
nicht auf. Du kannst schon morgen damit anfangen.”
„Und dann falle ich auf
die Nase”, gab Alice stumpf zurück.
„Ja. Und
wenn du gefallen bist, stehst du wieder auf und stellst dich auf deine Beine,
ohne dass dir jemand dabei hilft ... und dann wirst du wissen, dass du selbst
auf dich aufpassen kannst.”
„Ach, leck
mich doch!”, sagte Alice, und Lucy nahm sie lächelnd in den Arm.
Kapitel 21
eder auf der Insel, Sams Arbeiter
eingeschlossen, hatte gehört,
dass die Hochzeit von Kevin und Alice ins Wasser
gefallen war und welche Folgen das hatte. Es ging herum wie ein Lauffeuer. Sam
hörte sich die Gerüchte nur aus einem Grund an: Er hoffte auf
Informationskrümel über Lucy. Aber ihr Name fiel kaum. Er hatte erfahren, dass
die Marinns die Sache durchgezogen hatten: Die Generalprobe für das Festessen
hatte stattgefunden, und am nächsten Tag wurde der Empfang abgehalten, der für
das Brautpaar geplant gewesen war. Es gab Musik, gutes Essen, Getränke. Sam
hatte auch gehört, dass die Marinns darüber nachdachten, Kevin auf Zahlung
wenigstens eines Teils der Kosten zu verklagen inklusive des Preises für das
Flugticket, das er für seinen kurz entschlossenen Urlaub benutzt hatte.
Es war drei
Tage her, dass Lucy ihn an der Rainshadow Road besucht hatte. Mark, Maggie und
Holly waren gerade aus den Flitterwochen zurück, Sam und Alex hatten den dreien
beim Umzug in ein umgebautes Farmhaus mit drei Schlafzimmern und einem Teich
geholfen.
Schließlich
hielt Sam es einfach nicht mehr aus. Er rief Lucy an und hinterließ eine kurze
Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter, dass er mit ihr reden wolle. Sie rief
nicht zurück.
Sam war mit
seinem Latein am Ende. Er hatte keinen Appetit, konnte nicht schlafen. Nicht
an Lucy zu denken kostete ihn mehr Kraft, als an sie zu denken.
Mark hatte
sich ausführlich mit ihm über die Situation unterhalten. „Diese
Mitchell-Art-Center-Geschichte klingt nach einer großen Sache.”
„Und ob es
das ist.”
„Du willst
sie also nicht darum bitten, das Angebot abzulehnen.”
„Nein. Ich
würde nie wollen, dass Lucy ein solches Opfer bringt. Tatsächlich bin ich froh,
dass sie fortgeht. Das ist gut für uns beide.”
Mark
musterte ihn ironisch. „Inwiefern genau ist das gut für dich?”
„Ich gehe
keine Bindungen ein.”
„Warum
nicht?”
„Weil ich
es nicht kann”, schnauzte Sam ihn an. „Ich bin nicht wie du.”
„Du bist ganz
genauso wie ich, du Idiot. Du versuchst,
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