Zaubersommer in Friday Harbor
wollten.
Nicht lange
nach dem Naturlehre-Referat – Sam war ungefähr dreizehn – starb sein Vater bei
einem Bootsunfall. Danach fiel die Familie völlig auseinander. Es gab keine
regelmäßigen Essens- oder Schlafenszeiten und keinerlei Regeln. Niemanden
überraschte es, dass Jessica sich innerhalb von fünf Jahren nach dem Tod ihres
Mannes selbst zu Tode trank. Und die Nolan-Kinder hatten nicht gerade wenig mit
Schuldgefühlen zu kämpfen, als sie feststellten, dass sie trotz ihrer Trauer
über den Verlust der Mutter auch Erleichterung darüber empfanden, sie nicht
mehr ertragen zu müssen. Keine Telefonanrufe mehr mitten in der Nacht, die dazu
aufforderten, eine Mutter abzuholen, die zu betrunken war, um selbst zu
fahren, nachdem sie sich in der Bar zum Gespött gemacht hatte. Keine demütigenden
Witze oder Kommentare Außenstehender, keine Krisen, die urplötzlich aus
heiterem Himmel auftraten.
Jahre
später, als Sam das Land an der False Bay für sein Weingut kaufte, musste er
sich ein paar schwere Landmaschinen leihen. Dabei stellte er fest, dass Kevin
einen eigenen Betrieb gegründet hatte. Sie unterhielten sich bei einem Bier,
erzählten sich ein paar Witze und schwelgten in Erinnerungen. Anschließend
erledigte Kevin einige Arbeiten für Sam und berechnete ihm dafür
aus Gefälligkeit nur einen Bruchteil des normalen Preises.
Sam hatte
keine Ahnung, was Kevin jetzt an seine Tür geführt haben könnte, und er
reichte ihm die Hand zum Gruß. „Pearson. Lange her.”
„Schön,
dich zu sehen, Nolan.”
Sie
musterten einander kurz, schätzten sich ab. Sam war insgeheim verblüfft, dass
Kevin Pearson, dessen Familie niemals einen Nichtsnutz von Nolan über ihre
Schwelle gelassen hatte, ihn jetzt zu Hause besuchte. Der ehemalige
Pausenhof-Tyrann konnte Sam nicht mehr in den Hintern treten oder ihn mit seiner
sozialen Schwäche reizen. Sie waren einander ebenbürtig, in jeder Hinsicht.
Kevin schob
seine Hände in die Taschen seiner Kaki-Shorts, trat ein und ließ den Blick
lächelnd durch die Eingangshalle schweifen. „Allmählich wird was aus dem
Haus.”
„Es hält
mich auf Trab”, gab Sam freundlich zurück.
„Ich habe
gehört, dass du und Mark für eure Nichte sorgt.” Kevin zögerte kurz. „Mein
Beileid wegen Vicky. Sie war ein tolles Mädchen.”
Obwohl sie
eine Nolan war, dachte Sam, aber er sagte nur: „Holly und ich wollen gerade
essen. Möchtest du auch was?”
„Nein danke, ich kann nicht lange
bleiben.”
„Magst du
mit in die Küche kommen, während ich uns Sandwiches mache?”
„Ja,
klar.” Kevin folgte ihm. „Ich bin hier, um dich um einen Gefallen zu bitten”,
erklärte er. „Obwohl du mir vielleicht am Ende sogar dankbar dafür sein
wirst.”
Sam nahm
eine Pfanne aus dem Küchenschrank, erhitzte sie auf dem Herd und gab etwas
Olivenöl hinein. Da ihm schon vor längerer Zeit klar geworden war, dass ihre
Junggesellenküche aus Pizza und Bier für Holly nicht das Wahre war, hatte Sam
ausprobiert, zu kochen. Es gab zwar noch viel zu lernen, aber er hatte sich
mittlerweile einige Grundfertigkeiten angeeignet, die sie bisher vorm
Verhungern bewahrt hatten.
Während Sam
die Tomatensuppe in eine mikrowellengeeignete Schüssel füllte, fragte er:
„Worum geht's bei dem Gefallen?”
„Vor ein
paar Monaten habe ich mich von meiner Freundin getrennt. Und die Sache hat sich
als kniffliger erwiesen als erwartet.”
„Stellt sie
dir nach oder so was?”
„Nein,
nichts dergleichen. Sie geht nur so gut wie nie aus.”
Die
Käsesandwiches brutzelten leise vor sich hin, als Sam sie in die heiße Pfanne
gleiten ließ. „Das ist doch normal nach einer Trennung.”
„Ja, schon,
aber sie muss doch irgendwie wieder anfangen zu leben. Ich habe darüber
nachgedacht, mit wem man sie zusammenbringen könnte. Mit wem sie Spaß haben
könnte. Und soweit ich weiß, bist du doch zurzeit gerade solo. Oder?”
Sam riss
ungläubig die Augen auf, als er begriff, worauf Kevin hinauswollte. Und dann
musste er lachen. „Ich habe kein Interesse an deiner Ex. Und ich werde dir mit
Sicherheit nicht dankbar dafür sein.”
„Du
verstehst das völlig falsch”, protestierte Kevin. „Sie ist toll. Sie ist
eine scharfe Braut. Na ja ... vielleicht nicht unbedingt eine scharfe Braut,
aber doch hübsch. Und lieb. Ungeheuer lieb.”
„Wenn sie
so toll ist, warum hast du dann mit ihr Schluss gemacht?”
„Na ja, ich
habe was mit ihrer jüngeren Schwester angefangen.”
Wortlos sah
Sam ihn
Weitere Kostenlose Bücher