Zaubersommer in Friday Harbor
zu reklamieren und Exklusivrechte auf
sie geltend zu machen, hatte er einfach nicht. Und würde er auch nie haben.
Woher zum
Teufel kam dann dieser Gedanke?
Er legte
Lucy den Arm um die Schultern und wandte sich Kevin und Alice zu, die beide
beinah komisch bestürzt wirkten.
„Nolan”,
sagte Kevin. Es wollte ihm nicht gelingen, Lucy anzusehen.
„Pearson.”
Verlegen
übernahm Kevin die Vorstellung. „Sam Nolan, das ist meine ... Freundin
Alice.”
Alice
streckte ihm ihren schlanken Arm entgegen, und Sam schüttelte ihr die Hand. Die
vielen Armreifen an ihrem Handgelenk klimperten leicht. Sie hatte die gleichen
dichten dunklen Haare wie Lucy und war ebenfalls zierlich gebaut, aber dabei
klapperdürr und eckig. Auf hochhackigen Keilschuhen stakste sie einher, und
ihre Wangenknochen stachen aus ihrem Gesicht hervor. Sie war so stark
geschminkt, dass ihre Augen wie die eines Pandas wirkten und ihre Haut
merkwürdig schimmerte. Auf ihn machte sie den Eindruck einer Frau, die sich ein
bisschen zu sehr bemühte. Einer Frau, deren Unsicherheit durch ihre eifrigen
Versuche, sie zu verbergen, umso deutlicher zutage trat.
„Ich bin
seine Verlobte”, korrigierte Alice kühl.
„Gratuliere”,
sagte Lucy. Obwohl sie sich alle Mühe gab, eine undurchschaubare Miene
aufzusetzen, huschten Schmerz, Zorn und Verletzlichkeit blitzschnell über ihre
Züge.
Alice sah
sie an. „Ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte.”
„Ich habe schon
mit Mom darüber gesprochen”, erwiderte Lucy. „Habt ihr bereits einen
Termin festgesetzt?”
„Vermutlich
irgendwann gegen Ende des Sommers.”
Sam
entschied, die Unterhaltung zu beenden, bevor die Fetzen zu fliegen begannen.
„Viel Glück”, sagte er kurz angebunden und drängte Lucy zum Aufbruch. „Wir
müssen gehen.”
„Lasst es euch schmecken”, fügte Lucy tonlos hinzu.
Sam hielt
Lucys Hand, als sie das Restaurant verließen. Ihr Gesichtsausdruck war seltsam
entrückt, und er hatte die Befürchtung, wenn er sie jetzt losließe, würde sie
wie in Trance irgendwohin laufen wie ein achtlos abgestellter Einkaufswagen,
der über den Parkplatz eines Supermarktes rollte.
Sie
überquerten die Straße und machten sich auf den Weg zu Lucys Atelier.
„Warum habe
ich das gesagt?”, fragte sie plötzlich.
„Was?”
„Lasst
es euch schmecken. Ich
habe das absolut nicht ernst gemeint. Ich hoffe, das Essen bleibt ihnen im Hals
stecken.”
„Glaub
mir”, erwiderte Sam trocken, „kein Mensch hat geglaubt, dass du das ernst
meinst.”
„Alice
sieht so dünn aus. Und gar nicht glücklich. Welchen Eindruck hast du von
ihr?”
„Ich
glaube, du bist hundertmal mehr wert als sie.” Sam wechselte auf ihre
andere Seite, um am Straßenrand zu gehen.
„Aber warum
hat Kevin dann ...” Sie unterbrach sich, schüttelte ungeduldig den Kopf.
Sam
brauchte einen Augenblick, um zu antworten. Nicht weil er darüber nachdenken
musste, was der Grund war, dass Kevin sich für Alice entschieden hatte. Den
kannte er längst. Sondern weil Lucy eine irrwitzige Wirkung auf ihn hatte. Sie
weckte seltsame Gefühle in ihm: Zärtlichkeit, Zuneigung und ein namenloses
Empfinden, von dem er nicht wusste, was es war, das ihm aber überhaupt nicht
behagte.
„Kevin hat
sich für deine Schwester entschieden, weil er sich ihr überlegen fühlt”,
erklärte er schließlich.
„Woher
weißt du das?”
„Weil er
der Typ ist, der eine abhängige Frau braucht. Er muss die Kontrolle über sie
haben. Warum er sich zu dir hingezogen gefühlt hat, ist offensichtlich, aber
ebenso offensichtlich ist, dass
das nie auf längere Sicht funktioniert hätte.”
Lucy nickte,
als hätte er etwas bestätigt, was sie sich selbst bereits gedacht hatte. „Aber
warum hat er es jetzt so eilig, zu heiraten? Mom hat mir erzählt, dass Alice
kürzlich ihren Job verloren hat. Vielleicht weiß sie sich also wirklich nicht
anders zu helfen. Aber das erklärt noch nicht, warum Kevin da mitspielt.”
„Würdest du
ihn zurücknehmen?”
„Niemals.”
Traurigkeit schlich sich in ihre Stimme. „Aber ich habe geglaubt, er sei
glücklich mit mir, obwohl er das offenbar nicht war. Das ist nicht gut fürs
Selbstbewusstsein.”
Sam blieb
an der Straßenecke stehen, fasste Lucy an den Oberarmen und drehte sie, sodass
sie ihn anschaute. Er hätte nichts lieber getan, als sie mit in die Wohnung zu
nehmen und ihr zu zeigen, was ihm alles so einfiel, um ihr verletztes Selbstbewusstsein
zu heilen. Als er sie ansah, wurde ihm
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