Zaubersommer in Friday Harbor

angezogen. Sie hatte genug von dem Aufruhr unten mitbekommen, um zu
wissen, dass Alice ohne Vorwarnung aufgekreuzt war und Sam verärgert darauf
reagierte.
    Ihre Nerven
hatten sich noch nicht beruhigt, ihr war leicht schummerig, und sie wusste
nicht recht, was sie von dem halten sollte, was gerade zwischen ihnen
geschehen war. In erster Linie war sie perplex, mit welch einem glutheißen
Vergnügen sie auf ihn reagiert hatte. Sein Liebesspiel hatte jeden klaren Gedanken
ausgeschaltet.
    Als Sam
näher trat, spürte sie, wie sie heftig rot anlief. Fragend ließ er den Blick
über sie gleiten und zog die Stirn kraus. „Wie bist du an diese Sachen
herangekommen?”, fragte er. „Ich hatte sie auf die Kommode gelegt.”
    „Ich habe
mein Bein nicht belastet”, verteidigte sich Lucy. „Sie ist nur einen
Schritt und einen Hopser vom Bett entfernt, und dann habe ich einfach ...”
    „Verdammt
noch mal, Lucy. Wenn dieser Fuß noch einmal den Fußboden berührt, dann werde
ich ...” Er zögerte, während ihm verschiedene Drohungen durch den Kopf
gingen.
    „Mich ohne
Abendessen ins Bett schicken?”, fragte Lucy betont
ernsthaft. „Mir mein Handy wegnehmen?”
    „Wie wäre
es mit ganz altmodisch den Hintern versohlen?”
    Aber sie
hatte die Sorge in seinen Augen gesehen, und sie wusste, was hinter seinem
Ärger steckte. Deshalb wagte sie ein feines Lächeln. „Holly hat mir erzählt,
dass du nichts von Hintern versohlen hältst.”
    Sam starrte
sie an, und die Anspannung in seinen Schultern ließ nach, die harten Linien um
seine Lippen verschwanden. „Für dich würde ich vielleicht eine Ausnahme
machen.”
    Ihr Lächeln
vertiefte sich. „Du flirtest schon wieder mit mir.”
    „Nein, ich ...”
Die Türglocke läutete schon wieder. „Himmel-Herrgott-nochmal!”, fluchte
Sam.
    „Ich sollte
sie wohl empfangen”, meinte Lucy entschuldigend. „Bringst du mich nach
unten?”
    „Warum
willst du dir das antun?”
    „Ich kann
Alice nicht ewig aus dem Weg gehen. Und übermorgen kommt Mom. Sie würde sich
freuen, wenn ihre Töchter wenigstens wieder miteinander reden.”
    „Es ist
noch zu früh dafür.”
    „Ja, so
sehe ich das auch”, gab Lucy zu. „Aber jetzt ist sie hier, und da kann ich
es ebenso gut auch hinter mich bringen.”
    Sam
zögerte. Dann bückte er sich, um sie auf die Arme zu nehmen.
    Der
körperliche Kontakt durchfuhr Lucy wie ein elektrischer Schlag. Sie versuchte,
ihre Reaktion vor ihm zu verbergen, konzentrierte sich darauf, ruhig zu atmen,
aber während sie sich an seinen Schultern festhielt, sah sie, wie ihm die Röte
in den Nacken stieg, und sie wusste, dass sie nicht allein so empfand.
    „Danke”,
sagte sie, als er sich seitlich drehte, um sie aus der Tür tragen zu können.
„Ich weiß, dass du sie viel lieber rauswerfen würdest.”
    „Kann sein,
dass ich sie trotzdem rauswerfe.” Sam ging auf die Treppe zu. „Ich behalte
euch im Auge. Sowie ich sehe, dass es Ärger gibt, steht sie vor der Tür.”
    Lucy
runzelte die Stirn. „Ich möchte aber nicht, dass du uns überwachst, während wir
uns unterhalten.”
    „Ich werde
euch nicht überwachen. Aber ich bleibe in der Nähe für den Fall, dass du
Unterstützung brauchst.”
    „Ich werde
keine Unterstützung brauchen.”
    „Lucy,
weißt du, was eine Gehirnerschütterung ist?” a.”
    Sam redete
einfach weiter, als hätte er sie nicht gehört. „Dazu kommt es, wenn du mit dem
Kopf so hart aufschlägst, dass das Gehirn gegen die Schädelknochen prallt.
Dabei gehen eine Menge Gehirnzellen kaputt. Das kann zu Schlafstörungen führen,
zu Depressionen, zu Gedächtnislücken, und all diese Folgeerscheinungen fallen
schlimmer aus, wenn du dich in irgendeiner Form belastest.” Er stockte
und fügte dann gereizt hinzu: „Das gilt auch für Sex.”
    „Hat das
der Arzt gesagt?”
    „Das
brauchte er nicht zu sagen.”
    „Ich glaube
nicht, dass Sex meine Gehirnerschütterung verschlimmert”, meinte Lucy.
„Es sei denn, wir stehen dabei auf dem Kopf oder treiben es auf einem
Trampolin.”
    Sie hatte
das scherzhaft gemeint, aber Sam hatte im Moment anscheinend keinen Sinn für
Humor.
    „Wir
treiben es gar nicht”, erklärte er fest.
    Als er sie
auf das Sofa setzte und ihr Bein hochlegte, stand Renfield von seiner
Schlafmatte in der Ecke auf und tappte zu ihnen. Er schien kampflustig zu
grinsen. Lucy streckte die Hand nach ihm aus und tätschelte ihn, während Sam an
die Tür ging, um Alice hereinzulassen. Ohne sie weiter zu beachten,