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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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Etwas, was mich zurückweichen lässt.
    Phil weicht nicht zurück. Obwohl es ihm merklich schwerfällt, erwidert er den Blick seines Großvaters und bringt den Satz zu Ende: »Im obersten Fach war eine P-P-Pistole.«
    Wir warten darauf, dass sein Großvater etwas sagt, doch er schweigt.
    »W-wo-wozu h-hast du sie?«
    Keine Antwort. Das Schweigen dauert an, dehnt sich. Es gelingt mir nur noch mit Mühe, still zu stehen. Das ist ein Gefühl, als würden mir tausend Ameisen über die Haut krabbeln.
    »Es ist ein Erbstück«, sagt Herr Weißenberg schließlich. »Warum willst du das wissen, Junge?«
    »Warum er das wissen will? Er hat eine Pistole zwischen Ihren Sachen gefunden und Sie fragen ihn ernsthaft, warum er das wissen will?«, platze ich heraus.
    Herr Weißenberg mustert uns beide, dann antwortet er bedächtig: »Das alte Ding. Weggeben konnte ich es nicht, es hat meinem Onkel gehört. Außerdem hatte ich Angst, dass sich jemand versehentlich damit verletzen könnte. Ich habe ganz vergessen, dass sie noch im Schrank liegt.«
    Es ist eine Erklärung, doch sie klingt ziemlich konfus. Ich werfe Phil einen kurzen Blick zu, will, dass er nachbohrt. Aber er schweigt. Wütend schüttele ich den Kopf und sehe Herrn Weißenberg in die Augen. Er soll wissen, dass zumindest ich mich nicht von ihm einwickeln lasse.
    Gelassen erwidert er meinen Blick. Seine Augen sind kühl wie Schiefergestein. Ich habe das Gefühl, er könnte in mich hineinschauen, bis auf den Grund meiner Seele, wo das Bild einer Toten treibt. Die fleischlosen Mundwinkel verziehen sich zu einem kleinen, verschwörerischen Lächeln.
    Als hätte er mich erkannt.
    Ein ungeheurer Ekel vor ihm und mir selbst und dieser ganzen verkehrten Welt überschwemmt mich.
    »Das nächste Mal«, ruft Herr Weißenberg uns nach, als wir gehen, »bring mir meine Zigarren mit, Junge!«
    Als ich wieder zu Hause bin, versuche ich eine Liste aufzustellen, die Herrn Weißenbergs schlechte Meinung über die Menschheit widerlegt. Aber nach Punkt zwei fällt mir nichts mehr ein. Ich beschließe, eine kalte Dusche zu nehmen, um die Lebensgeister wiederzuerwecken. Im Bad ziehe ich mich aus und stelle mich nackt vor den Spiegel. Eine grün schimmernde Fliege surrt aufgescheucht im Raum herum, fliegt immer wieder gegen die Lampe.
    Im Spiegel studiere ich mein Gesicht: Nichts scheint sich verändert zu haben, und doc h …
    Jetzt ist es das Gesicht eines Mädchens, das ein Verbrechen vor der Polizei vertuscht. Das dabei war, als ein Mensch angefahren wurde und nichts dafür getan hat, sein Leben zu retten. Ich betrachte meine zu große Nase. Den Hexenzinken. Haben meine grünen Augen schon immer so kühl gewirkt? Ist da nicht ein gewissenloser Zug um meinen Mund?
    Bin ich bereits wie dieser gleichgültige, alte Mann? Ich zwinge mich, genau hinzusehen, nicht wegzuschauen. Am Ende scheint mir die Person im Spiegel vollkommen fremd. Ich berühre mein Gesicht, um sicherzugehen, dass es mein eigenes ist. Kratze an der verschorften Schramme an meinem rechten Arm. Überrascht fühle ich die Wärme des Bluts auf meinen Fingerspitzen.
    Die Fliege ist in die Lampe geflogen und bitterer Chitingeruch steigt mir in die Nase.

Ziggy
    Z: »Ist doch komisch, oder? Man malt sich sein Leben aus. Stellt sich vor, wie es mal sein wird. Und dann passiert irgendwas und alles ist auf einmal ganz anders.«
E: »Tja, Mohn. Da sieht man mal wieder: Vollkommen sinnlos, sich so viele Gedanken zu machen.«
Z: »Früher hab ich gedacht, nach dem Abi würde ich ausziehen, Musik machen, endlich das tun können, was ich will ohne Zwänge. Aber nach dem Unfall kamen mir meine Pläne unwirklich und kindisch vor.«
E: »Kennst du diesen Spruch, Mohn: Leben ist das, was passiert, während du dabei bist, andere Pläne zu schmieden? Old Bob hätte bestimmt auch nicht gedacht, dass er mit sechsunddreißig Jahren an Krebs sterben würde.«
    Zum ersten Mal war ich wirklich froh, als die Sommerferien vorbei waren. Die Schule lenkte mich von Yasmins Tagebuch ab, das noch immer in seinem Versteck auf mich wartete.
    Auf dem Pausenhof herrschte das übliche Stimmengewirr. Sechstklässler rannten kreischend herum und spielten Fangen, ältere Schüler standen in Grüppchen beisammen und schlürften Kaffee aus dem Automaten. Auf den ersten Blick schien es ein ganz normaler Montagmorgen zu sein.
    Aber wer aufmerksam war, konnte es spüren: In den Eingeweiden der Schule rumorte es. Es wisperte in den Gängen, in den Treppenhäusern.

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