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Zebraland

Zebraland

Titel: Zebraland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Roeder
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Judith?«, fragte Philipp noch einmal.
    Sie lächelte traurig.

Judith
    Das letzte Mal, als ich mich so gehen gelassen hatte, war ich noch ein Kind gewesen.
    Damals hatten die Jungs aus unserem Viertel Fußball auf einer abgewetzten Wiese spielen wollen. Daniel Solltau und Erik Janitz wählten abwechselnd aus, wer in ihre Mannschaften kommen sollte. Am Schluss blieben Carsten Döblin und ich übrig.
    Dabei waren wir gar nicht so schlecht. Carsten roch ein bisschen komisch. Und ich war das einzige Mädchen, das mitmachen wollte. Aber ich wusste, ich war gut als Stürmerin. Niemand war schneller als ich, selbst Erik nicht. Erik, der den Ball auf seinen Fußspitzen und Knien tänzeln lassen konnte. Alles sah bei ihm ganz leicht aus. Ich drückte heimlich die Daumen, dass er mich in seiner Mannschaft haben wollte.
    »Wen willst du, Daniel?«, hatte Erik gefragt, »das Stinktier oder die Hexennase?«
    Mir blieb der Mund offen stehen. Fassungslos guckte ich zu Carsten rüber, der leicht in sich zusammengesunken war, ein leeres Lächeln im Gesicht.
    Plötzlich war mir klar, dass er das schon oft erlebt hatte. Dass er nichts sagen würde, weil sie ihn sonst überhaupt nicht mitspielen lassen würden. Wir hatten keine Chance, und ich war in Tränen ausgebrochen.
    Ich drücke die Fäuste gegen meine Augen, um die Tränen und die Erinnerung zurückzudrängen. Aus den Lautsprechern scheppert die Ansage für meinen Lauf, den Qualifizierungslauf für die Jugendmeisterschaften. Jetzt bloß nicht anfangen zu heulen.
    »Alles in Ordnung?«, fragt meine Gegnerin zur Linken. Wir sind zu acht, sie trägt die Startnummer vier, ich die fünf.
    »Klar«, entgegne ich in einem Ton, der ihr zu verstehen gibt, dass sie ihre Nase nicht in fremde Angelegenheiten stecken soll. »Alles bestens.«
    Sie zuckt die Schultern und macht ein paar kurze Skippings, um die Muskeln warm zu halten.
    »Auf die Plätze!«, brüllt der Laufrichter. Ich steige in meinen Startblock.
    Das Publikum auf der Tribüne wartet in fiebriger Stille. Irgendwo da oben stehen Phil, Anouk und Ziggy.
    »Fertig!« Ich hebe den Hintern, verlagere mein Gewicht auf die Fingerspitzen, fühle, wie mein Körper sich spannt wie eine Sprungfeder. Zum Losschnellen bereit.
    Vor mir liegt die Bahn, hundert Meter, eine rote Abschussrampe. Der Startschuss knallt.
    Meine Oberschenkelmuskeln explodieren, katapultieren mich in den Sprint. Kur-ze, schnel-le Schrit-te. Die Hälfte der Strecke. Ich spüre, dass ich in Führung liege. Werde noch schneller, durchbreche die Schallmauer. Fliege.
    Ich könnte einfach durchrennen, immer weiter, ic h … Ich kneife die Augen zu und lasse mich fallen.
    Ein Stöhnen. Vielleicht das Publikum, vielleicht ich. Dann der Sturz. Den Kopf unter den Armen vergraben, bleibe ich liegen. Ich fühle das Vibrieren der Bahn, dann den Luftzug, als meine Gegnerinnen an mir vorbeipreschen. Ein Mädchen springt über mich hinweg.
    Ich liege am Boden, schwerer als Blei, schwerer als der Kern der Erde.
    Erstarrtes Magma.
    »Erste ist Hannah Eschenbach mit 1 2 Komma 4 6 Sekunden vo r …« Jubel brandet auf, Menschen strömen auf die Bahn, umringen die Siegerin.
    Dann ist meine Trainerin da: »Kannst du aufstehen, Judith?«
    Ich nicke und lasse mir von ihr hochhelfen.
    »Wie konnte das nur passieren?«, fragt sie. »Bist du gestolpert?«
    Ich nicke noch mal, ohne sie anzusehen. »Das war’s wohl mit Berlin, oder?«, frage ich, als ich wieder sprechen kann.
    »Ich fürchte ja. Es tut mir leid, Judith. Du hast so hart trainiert. In zwei Wochen fahren wir wieder zu einem Wettkampf. Wenn du möchtes t …«
    »Schon gut. Ich glaube, ich mache mal eine Pause.«
    »Judith, das war einfach Pech, das nächste Ma l …«
    »Nein. Ich will das so.«
    »Na dan n …« Meine Trainerin zuckt unglücklich die Achseln. »Ich gehe dir mal Verbandszeug holen. Deine Knie sehen furchtbar aus.«
    Erst jetzt merke ich, dass ich sie mir bei dem Sturz aufgeschürft habe. Es brennt wie Feuer.
    Die anderen kommen langsam über die Bahn auf mich zu.
    »Tut’s sehr weh?«, fragt Anouk und deutet auf meine Knie.
    »Ach, geht schon.« Zu meiner Überraschung stellt sie sich auf die Zehenspitzen und umarmt mich. Ziggy hält sich im Hintergrund und kriegt mal wieder die Zähne nicht auseinander.
    Philipp kommt als Letzter.
    »Mir ist fast das Herz stehen geblieben. Sah total echt aus«, sagt er und verzieht den Mundwinkel. »Kompliment, ich wusste nicht, dass du so eine gute Schauspielerin bist,

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