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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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Er stieß sie weg. Der Himmel war zu leer und zu weit weg, ohne Anfang und Ende.
    Er sank wieder, und sie griff nach ihm, doch er drückte ihr den Kopf herunter, um sich darauf zu stützen, aber dadurch sanken sie beide noch schneller, ihre Arme und Beine ineinander verschlungen, bis sie seinen Kopf an sich riss und ihn noch im Ertrinken anlächelte. Irgendwie löste diese Wahnsinnsgeste seine Panik, und er erschlaffte in ihren Armen, so dass sie ihn an die Oberfläche ziehen konnte.
    Mit einer Hand paddelnd, hielt sie ihn unter dem Kinn fest und tröstete ihn wie ein verängstigtes Kind. »Ich halte Sie. Haben Sie keine Angst. Wenn Sie sich wehren, ertrinken Sie.«
    Und so schwebte er, sein Körper auf ihrem, und schaute in den Himmel hinauf, bis ein Rettungsboot kam und sie über die Bordwand gezogen wurden.

W IEDER AUF DEM S CHIFF , bekamen sie Becher mit heißem Grog und wurden unter Deck geführt, wo der Kapitän an seinem Schreibtisch auf sie wartete.
    »Graf Baranofsky hat Stubenarrest«, sagte der Kapitän zu Delilah. »Sie bekommen eine leer stehende Kabine von mir.«
    »Was geschehen ist, geht nur den Grafen und mich etwas an«, antwortete Delilah. »Niemanden sonst.«
    »Verehrteste«, sagte der Kapitän. »Darf ich Sie daran erinnern, dass Sie ertrunken wären, hätte Mister Shook nicht so heldenhaft reagiert.«
    »Ich verlange, Graf Baranofsky zu sehen«, sagte sie.
    »Sie werden ihn sehen, wenn wir anlegen. Vorher nicht. Wenn uns günstige Winde beschieden sind, wird es in einer knappen Woche so weit sein.«
    Er wandte sich Zebulon zu. »Ich befehle Ihnen, sich von beiden fernzuhalten. Beim geringsten Verstoß lasse ich Sie in Arrest nehmen.«
    Mit einer abrupten Handbewegung entließ er die beiden.
    Als Delilah und Zebulon an der Kabine des Grafen vorbeikamen, hörten sie, wie das Cello endlos immer dieselben Tonleitern wiederholte.
    Delilah lehnte den Kopf an die verriegelte Tür. »Ivan?«
    Seine Stimme war kaum zu hören. »Hast du dein Bad genossen? Wie alle anderen offenbar auch.«
    »Wir sind zu weit gegangen«, sagte sie.
    »Vielleicht nicht weit genug«, erwiderte er. »Ich wäre gesprungen, aber ich kann nicht schwimmen.«
    Seine Finger setzten zu einem langgezogenen Vibrato an, langsam glitt der Bogen bis ans Ende und dann wieder zurück. »Erinnerst du dich an dieses schöne Lied, das wir am Kaiserhof in Wien gehört haben, das von dem Mädchen, zu dem der Tod kommt?«
    Er spielte die Töne und rezitierte die Bitte des Mädchens:
    Vorüber! Ach, vorüber!
    Geh, wilder Knochenmann!
    Ich bin noch jung, geh, Lieber!
    Und rühre mich nicht an
.
    Er schwieg, während Delilah die Antwort des Todes sang:
    Gib deine Hand, du schön und zart Gebild!
    Bin Freund, und komme nicht, zu strafen
.
    Die letzten beiden Verse sangen sie gemeinsam, und das Cello des Grafen schwang sich zu einem trauervollen Crescendo des Grams und der Freude auf:
    Sei gutes Muts! Ich bin nicht wild
,
    Sollst sanft in meinen Armen schlafen
.
    »Wer von uns beiden wird sanft in den Armen des Todes schlafen?«, fragte der Graf. »Und wer wird die Rolle des Todes spielen, des sanften Todes? Oder ist diese Rolle schon besetzt?«
    Er spielte einen melancholischen Zweiklang, dann brach er ab. »Ich habe ein wenig mit dem Kapitän geplaudert. Es ist alles unter Dach und Fach. Es bedurfte nur einer größeren Zuwendung, um seine finanzielle Situation zu lindern.«
    Delilah lehnte wieder den Kopf an die Tür. »Ivan, ich kann nicht mehr weitermachen.«
    »Mit mir oder mit der Reise?«, fragte er.
    »Mit beidem. Sobald wir anlegen, möchte ich zurück.«
    »Zurück?«, fragte er gereizt. »Zurück wohin?«
    »Frankreich, Ägypten, Russland. Spielt das eine Rolle?«
    »Du weißt, dass man mich aus diesen Ländern verbannt hat«, antwortete er. »Hör mir zu! Wir machen weiter, oder wir gehen zugrunde. Der Kapitän und ich haben die Situation durchgesprochen. Er ist ebenfalls der Meinung, dass uns beiden eine kurze Trennung gut tun wird. Und jetzt, da wieder Wind aufgekommen ist, bin ich es ganz zufrieden, in der Kabine zu bleiben. Ich sehe es als eine Art Klausur an. Ein Geschenk und ein Privileg. Erstaunlich, wie gewisse Dramen sich auf die Gemütsverfassung auswirken.«
    Während das Cello die erste Strophe von »Der Tod und das Mädchen« wiederholte, drehte sie sich um und stieg den Niedergang zu ihrer Kabine hinunter.
    Sie saß auf ihrer Koje und schaute aus dem Bullauge, als Zebulon hinter ihr auftauchte. Ohne den Blick vom

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