Zebulon
Schufterei gehasst, konnte mir aber genug auf die Seite legen für die Goldfelder.«
Sie fuhren an nackten Kindern vorbei, die den Zug mit großen Augen bestaunten, dann an palmstrohgedeckten Hütten und etwas später an einem Beerdigungszug auf einem Abstellgleis, mit zwei schwarzen Waggons, in die Tote eingeladen wurden. Als Zebulon genauer hinschaute, sah er, wie ihn sein eigenes Gesicht anstarrte. Oder war es Hans, der deutsche Kaufmann von der
Rhinelander?
Plötzlich erhob sich lautes Geschrei, und der Waggon geriet ins Schwanken, ruckelte mächtig und entgleiste.
»Eine Unterspülung«, rief der Schaffner, der seelenruhig durch den Waggon ging. »Sowas kommt vor, Leute. Der Schaden ist in nullkommanix behoben, und dann geht’s weiter.«
Die Passagiere kletterten aus dem Zug und setzten sich vor einem tosenden Bach mit braunem Wasser neben das Gleis. Einige hatten Quetschungen und Knochenbrüche, aber niemand war lebensgefährlich verletzt. Wo vorher die Brücke gestanden hatte, waren nur noch die gemauerten Widerlager auf beiden Seiten des angeschwollenen Flusses zu sehen. Auf der anderen Seite ragten mehrere Eisenträger aus den brodelnden Fluten.
Der Schaffner beriet sich mit dem Ingenieur, kam dann herüber und wandte sich an die Passagiere. Er wirkte vertrauenerweckend in seiner schwarzen Uniform mit den silbernen Knöpfen, der Schildmütze auf seinem eckigen Kopf und dem sauber gestutzten Schnurrbart.
»Ein Stück flussabwärts ist ein Dorf. Wir setzen mit Kanus über und legen den Rest des Weges auf Maultieren zurück. Kein Grund zur Besorgnis, Leute. In ein, zwei Tagen sind wir in Panama. Vielleicht drei. Sobald das Hochwasser abläuft, transportieren wir euer Gepäck mit der Fähre hinüber und schicken es euch nach Panama nach. Wir haben noch nie was verloren.«
Die Männer besprachen sich und versuchten ihre Frauen zu beruhigen, von denen manche laut weinten.
»Alles unter Kontrolle, Leute«, wiederholte der Schaffner. »Es dauert zehn Tage, bis eine Mannschaft den Zug zurückzieht. Uns bleibt nichts anderes übrig, als unseren Weg fortzusetzen, wie ich gesagt habe. Eine Wanderung durch ein Dschungelparadies, das wird uns allen gut tun.«
Zebulon begann plötzlich am ganzen Leib zu zittern. Sein Blick trübte sich, und sein Kopf fühlte sich an, als würde er jeden Moment zerspringen. Er wankte zum Flussufer hinunter, brach in die Knie und übergab sich.
Er war kaum noch bei Bewusstsein, als der Schaffner und zwei Passagiere ihn auf eine improvisierte Trage hoben. Sie schleppten ihn anderthalb Kilometer weit, bis sie auf eine Lichtung kamen, auf der fünf Bambushütten auf Pfählen über dem Hochwasser führenden Fluss standen. Mitten auf der Lichtung warteten ein paar Indianer darauf, Bananen und Yamswurzeln gegen irgendwelchen Krimskrams einzutauschen.
Zebulon wurde über eine Leiter in eine der Hütten hochgehievt, in der eine uralte zahnlose Indianerin in einem Musselinhemdchen seine fiebrige Stirn mit einem feuchten Tuch abwischte und ihm dann grünes Kokosnusswasser aus einer Kalebasse in den Mund schüttete; anschließend verabreichte sie ihm eine bittere Paste aus Wurzelrinde, Guave, Zitrone und grünen Chilis.
»Cholera«, hörte er noch jemanden sagen, bevor er ohnmächtig wurde. »Oder Papageienkrankheit. Morgen früh ist er höchstwahrscheinlich tot.«
Er stellte sich eine Möwe vor, die über haushohen Wellen schwebte.
Komm näher
, heulten die Wogen, und dann hörte er ein anderes Geräusch, wie ein Kleid, das zerrissen wird, und er dachte an Delilah, die an ihrem Herzen zerrte. Oder war es sein Herz?
»Komm, süßer Tod«
, sang sie, und die Wogen heulten erneut.
»Und ergib dich mir.«
E R LAG IN EINEM E INBAUM auf dem Rücken. Über ihm war kein Habicht und keine Möwe, unter ihm nur das Rauschen des angeschwollenen Flusses. Dann ein Schrei aus einem der anderen Kanus, als es mit einem treibenden Baumstamm zusammenstieß, sodass zwei Goldgräber und ein Indianer ins Wasser fielen und wie nasse Wäschestücke über die Stromschnelle geschwemmt wurden.
Als sie mehrere Kilometer flussabwärts endlich das andere Ufer erreichten, wurde Zebulon in eine Zeltbahn gewickelt und auf eine Stangenschleife hinter einem Maultier gebunden. Im Dschungel kam er dann auf eine Trage. Als die Vegetation zu dicht wurde, mussten die Goldgräber sich mit Macheten den Weg freischlagen. Schon bald schwand das Licht, und dann wurde es vollends dunkel. Giftige Pflanzen streiften an der Trage
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