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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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entlang, von denen Egel und Tausendfüßer herabfielen, die schmerzhafte Schwielen auf seinem Gesicht und seinen Händen hinterließen. Als sie einmal Halt machten, um jemanden zu begraben, hörte er eine Stimme in einer unbekannten Sprache beten und fragte sich, ob das Gebet ihm galt und das Grab für ihn bestimmt war.
    Sie verbrachten die Nacht auf einer kleinen Lichtung, wo er auf ein Rinderfell gelegt und mit einer dicken Suppe gefüttert wurde, die er sofort wieder erbrach. Seine Füße hatten sich blau verfärbt, und sein Fieber war weiter gestiegen, obwohl seine Knochen steif geworden waren und er vor Schüttelfrost mit den Zähnen klapperte. Fledermäuse flatterten über ihm durch die Luft und fingen Insekten halb so groß wie seine Hand. Baumfrösche quakten, und irgendwo brüllte ein Jaguar. In seinem Delirium klang der Schrei des Jaguars, als käme er aus ihm selbst.
    Er verlor jedes Zeitgefühl und merkte nur, dass er immer noch mit einer Trage transportiert wurde und dass der Dschungel sich allmählich lichtete. Gegen Abend erreichten sie den Gipfel eines Hügels, wo ein leichter Wind durch die Grasbüschel ging. Rings um ihn weinten die Goldgräber und sprachen Dankgebete.
    Der Schaffner stützte ihn. »Schauen Sie. Von einem Meer zum anderen.«
    Weiße Wolken zogen über ein dunkelgrünes Tal. Weiter entfernt, hinter bewaldeten Hügelwellen, konnte er den Pazifik sehen. In der entgegengesetzten Richtung schimmerte über dem dichten, dampfenden Blätterdach des Dschungels die Karibik.
    Als Zebulon aufstand und die Arme nach den beiden Ozeanen ausstreckte, umkreiste ein großer gelber Schmetterling seinen Kopf, und dann noch zwei, bis ihm die Beine einknickten und er zusammenbrach.
    Stöhnen und Schmerzensschreie weckten ihn. Um ihn herum lagen Männer in Reihen hölzerner Betten. Er befand sich auf einem Schiff, so viel war klar, und einen Moment lang dachte er, er sei wieder auf See. Er zog sich an dem Schott hoch und sah durch ein Bullauge einen Kirchturm über den roten Ziegeldächern einer kleinen Stadt.
    »Willkommen in der Hölle, Pilger.« Es war der Ire, der in der Nachbarkoje lag. »Hier kommt man nur mit den Füßen voran wieder raus, direkt in die Abfallgrube.«
    Zebulon ließ sich zurücksinken und legte den Arm über die Augen.
    »Ich bin gleich nach Ihnen zusammengebrochen«, sagte der Ire sabbernd. »Aber ich lass mich nicht von einer Dschungelwanze kleinkriegen. Die meisten von den armen Schweinen hier drin wissen nicht mehr, ob sie tot oder lebendig sind, und bei Ihnen bin ich mir da auch nicht sicher. Nicht dass das irgendwen interessieren würde.«
    Zebulon schlief ein, und als er die Augen wieder aufschlug, war die Koje des Iren leer.
    Stunden, vielleicht aber auch ein oder zwei Tage später machte der Arzt, ein Männchen mit Schnapsnase, seine Runde, gefolgt von einer Schwester, die sich gegen den Gestank nach Erbrochenem, Urin und Tod ein Taschentuch vors Gesicht hielt. Einmal blieb sie stehen, um einen Zettel an die blaue Zehe eines der Unglücklichen zu binden, die die Nacht nicht überlebt hatten.
    »Für mich waren Sie schon so gut wie tot, als ich Sie zum ersten Mal gesehen habe«, sagte der Arzt und fühlte ihm den Puls. »Ehrlich gesagt hab ich sogar darauf gewettet, als man Sie hereintrug. Aber Sie sind einer von den Glückspilzen. Im Gegensatz zu einigen aus Ihrem Haufen, die mit Cholera oder Typhus eingeliefert wurden. Schwer zu sagen, was Ihnen fehlt. Es könnte ein Parasit sein. Aber was immer es ist, es saugt Ihnen offensichtlich alle Lebenskraft aus. Wir behalten Sie ein paar Wochen hier. Zapfen Ihnen ein bisschen was ab, um Ihr Blut zu reinigen. Dann noch ein bisschen Kampfer, Brechmittel in heißem Wasser, mit etwas Ingwer und Pfeffer, und dann wollen wir das Beste hoffen. Vielleicht probieren wir’s auch mit Kalomel, bis Ihr Zahnfleisch zu bluten anfängt. Viel mehr können wir nicht tun. Von Rechts wegen müssten Sie längst Haifutter sein.«
    Die Schwester, eine schmallippige Baptistin mit einzelnen Haarbüscheln auf einem sonst kahlen Schädel, nickte zustimmend, überzeugt, dass jeden, der auf diesem elenden Hospitalschiff gelandet war, die Strafe Gottes ereilt hatte. Als der Arzt zum nächsten Patienten weiterging, beugte sie sich zu Zebulon hinab: »Sie sind unter Quarantäne, bis wir wissen, was Sie haben. Wenn Sie abzuhauen versuchen, werden Sie auf der Stelle erschossen. Ist nicht persönlich gemeint, aber wir müssen alles tun, um zu verhindern, dass

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