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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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halb offenen Kisten mit Schaufeln, Maschinenteilen, Kaffee, Fellen und Tabak standen. Konservendosen und Bündel von Arbeitskleidung stapelten sich neben Blechbüchsen mit Medikamenten und medizinischen Artikeln, die in großen roten Lettern beschriftet waren: TYPHUS, CHOLERA, SCHLANGENBISS und MALARIA .
    Die Staatsmacht war nur durch zwei betrunkene Soldaten vertreten, die an einer Lokomotive hockten; um sie herum lauerten halbverhungerte Hunde an dunklen Lagerschuppen.
    Auf der Hauptstraße hingen schwarze Moskitowolken über verfaulendem Fleisch und offenen Abwassergräben. Betrunkene Goldsucher bewachten Warenlager mit Gewehren und Schrotflinten; andere, die an Cholera, Ruhr oder Malaria litten, hockten in Hauseingängen oder lagen auf Holzplanken.
    Zebulon nahm alles in sich auf: die Gerüche, den Verfall und die Gewalt, das ganze lärmende Chaos, das charakteristisch war für die neue Siedlungsgrenze.
    Er machte einen Bogen um einen Mann mit Zylinder, der im Schlamm kniete und dicke Blutklumpen spuckte. Ein Stück weiter standen ein paar jamaikanische Hilfsarbeiter im Eingang eines ausgebrannten Hauses und lachten über eine schwarze Hure, die Streit mit einem vom Opium benebelten Chinesen hatte, der sich die Hosen hochzuziehen versuchte. Das Lachen verging ihnen, als die Hure dem Chinesen mit einem Messerhieb die Kehle durchschnitt und dann vergeblich seine Taschen durchsuchte.
    Das einzige Hotel war geschlossen, an der Tür hing ein BESETZT -Schild. Zebulon ging weiter, bis er ein Schild entdeckte, auf dem für fünfzig Cent pro Nacht ein Strohsack in einem Lagerhaus voller Ersatzteile für Eisenbahngleise angepriesen wurde.
    Bei Tagesanbruch machte er sich auf den Weg zum Bahnhof, einem großen Gebäude am Stadtrand, wo eine mit Holz beheizte Lokomotive mit acht kanariengelben Waggons stand. Am Zugende beluden Männer zwei Gepäckwagen mit Waren aller Art. Die Kisten waren auf allen Seiten mit Namen und Slogans in Rot, Weiß und Blau beschriftet: HOOSIER, KALIFORNIEN ODER GAR NICHTS, PILGERFAHRT NACH KALIFORNIEN, HAST DU DEN ELEFANTEN GESEHEN?
    Die meisten Passagiere waren Männer, bis auf ein paar erschöpfte Ehefrauen, die von der angeblich schnellen und bequemen Fahrt zum Pazifik jetzt schon genug hatten. Alle hatten sich für die Abfahrt herausgeputzt: die Männer mit Westen, bunten Hemden, modischen Beinkleidern und Kastorhüten, die Frauen mit knöchellangen Kattunkleidern, die sonnenverbrannten Gesichter durch Häubchen oder breitkrempige Strohhüte geschützt. Indianer in weißen Leinenhosen und mit Strohhüten drängten sich durch die Menge und verkauften Obst, Hühnchen und in Bananenblätter gewickelte Papayas. Eine Gruppe von Goldsuchern, angeheitert von billigem Fusel, spielten auf Geigen und Flöten, schlugen selbstgemachte Trommeln und sangen:
    Oh Susannah, don’t you wait for me
,
    For I’m going to California with a banjo on my knee
.
    Donner grollte, ihm folgte ein fürchterlicher Platzregen. Doch so plötzlich, wie er gekommen war, hörte der Regen auch wieder auf, und die Straße war noch nasser und dampfiger als zuvor.
    Der Bahnhofsvorstand trat in die Straßenmitte und feuerte eine alte Muskete ab: »Alles einsteigen!«, rief er. »Alles einsteigen in den Panama City Express!«
    Zebulon fand einen Platz neben einem übergewichtigen Iren, einem ehemaligen Pub-Besitzer aus Belfast mit einem trockenen Husten und entzündeten Augen, der vor Erleichterung in Tränen ausbrach, als der Zug sich in Bewegung setzte, im Schritttempo durch die Stadt fuhr und dann durch einen Mangrovensumpf und durch Palmen- und Bambushaine zockelte. Aus den offenen Fenstern sahen die Passagiere rotkehlige Tukane und grün-gelbe Papageien durch das dichte Blätterdach gleiten. Während der Zug sich langsam in den Dschungel vorschob, geriet der Himmel außer Sicht, und sie mussten sich mit den Schreien von Brüllaffen und dem Geruch des Holzrauchs der Lokomotive begnügen, der sich mit dem Duft verfaulenden Laubs mischte.
    Der Ire senkte den Kopf, er hielt den Anblick der allgegenwärtigen Fäulnis nicht aus. »Hier herum werden Sie kaum einen Iren zu Gesicht kriegen. Das warme Klima bekommt ihnen nicht. Meine Mum und mein Dad sind in der großen Hungersnot 1846 umgekommen. Als meine Frau mit einem Sergeant der britischen Armee nach Australien durchgebrannt ist, hab ich meinen Pub verkauft und bin mit dem Schiff nach Boston. Hab als Barkeeper und Bäcker gearbeitet und mir dann was im Hafen gesucht. Ich hab die

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