Zebulon
Hütten und Zelte eindrangen und jeden erschossen, der Widerstand leistete, und auch ein paar, die es nicht taten. Als sie unter einem von Cox’ Bodenbrettern einen großen Goldvorrat entdeckten, schlugen sie ihn mit einer Keule, beschlagnahmten das Gold und brannten seine Hütte nieder.
Die Gewalt hörte so plötzlich auf, wie sie begonnen hatte, und zurück blieb das Rauschen des Flusses, so laut, dass es das Schreien und Stöhnen der Verwundeten beinahe übertönte.
Als wäre nichts Ungewöhnliches geschehen, wurden Wagen abgeladen und am Flussufer ein Tisch und Stühle für das Mittagessen des Direktors aufgestellt, dem der Sheriff, der Fotograf und Stebbins Gesellschaft leisteten.
Während er Wein trank, eine Zigarre rauchte und auf ein warmes Essen wartete, baute der Fotograf sein Stativ auf.
»Jetzt bitte so bleiben, Gentlemen«, rief er. »Ausgezeichnet … Herr Direktor, wenn Sie so freundlich wären und eine Handbreit weiter nach links rutschen könnten. Nein, nicht nach rechts, nach links … Ausgezeichnet … Würden Sie nun bitte alle geradeaus blicken, zum Fluss hin … Nicht bewegen … Sehr schön.«
»Wir sollten sie allesamt erschießen, dann hätten wir’s hinter uns«, sagte Hatchet Jack, als das Blitzlicht aufflammte.
»Ein paar könnte ich mit dem Sharps erledigen«, sagte Zebulon.
»Sinnlos, in ein Hornissennest zu stechen«, widersprach Large Marge. »Sonst bleiben die uns auf den Fersen, das kann ich euch garantieren, jedenfalls bis wir in Oregon sind.«
Sie blieben, wo sie waren, und spähten über den Rand des Felsens, bis der Direktor und seine Männer mit den Soldaten wieder abzogen. Stebbins, der Fotograf und der Sheriff folgten auf einem Wagen, alle drei zu betrunken, um aufs Pferd zu steigen.
A LS SIE IN DEM L AGER ANKAMEN , waren die meisten einheimischen Goldsucher geflohen und die restlichen Chinesen, Mexikaner und Indianer entweder tot oder verwundet.
Delilah zerriss Hemden, weil sie Stoff für Verbände brauchte, und bastelte einfache Schienen, während Large Marge einen dicken Brei aus Kartoffeln und gestampftem Mais zubereitete.
Hatchet Jack und Zebulon fanden Cox mit dem Kopf auf einem Getreidesack; aus seinem Schenkel quoll wie ein dicker Wurm ein Blutstrom.
»Gold hatte ich«, murmelte er. »Und Gold hab ich verloren. Der Traum einer Hure, von allen Dämonen der Hölle über den Fußboden eines Saloons geschleift.«
Zebulon schlenderte zum Fluss hinunter. Er dachte an andere Schießereien, Massaker und Unglücksfälle, die er erlebt hatte: ein Rancher, seine Frau und fünf Kinder skalpiert und enthauptet, ein alter Trapper keine zwei Kilometer von seiner Hütte entfernt verhungert, ein Arapaho-Dorf von einer Seuche ausgelöscht, Siedler und Goldgräber ertränkt, gehenkt oder erschossen.
Während er auf die vielen Toten hinabsah, die nicht weit vom Fluss nebeneinander gelegt worden waren, drang das Donnern der Stromschnellen mit Macht in sein Herz.
Am nächsten Tag begruben sie die Toten in einem langen Graben auf einer dem Fluss zugewandten Anhöhe. Archibald Cox hielt die Grabrede – eine Aufgabe, für die er prädestiniert war, hatte er doch in Nordengland für das Priesteramt studiert.
»Das Leben ist aus dem Ruder gelaufen. Es ist größer und hässlicher und zugleich schöner und kostbarer geworden, als uns früher bewusst war. Dahin sind unsere Träume. Dahin ist der ungebärdige, unwiederbringliche Geist der Jugend, dem allein wir den Mut verdankten, in dieses Land zu reisen. Während wir hier in ernster Besinnung an diesen Gräbern stehen, können wir unser Leben nicht länger für selbstverständlich halten. Doch der Herr schützt uns und breitet einen Schleier über unser Leiden. In seiner Barmherzigkeit spendet er uns die Gnade, die uns weiterleben lässt, und schon bald werden wir uns von den Toten abwenden und weitermachen, weil wir keine andere Wahl haben. Geboren werden heißt sterben müssen, und schon bald werden wir nur noch Erinnerungen daran haben, wer wir waren, und dann nicht einmal mehr dies. Unsere Tränen können nicht das Maiengrün herbeizaubern oder die Liebe wieder aufblühen lassen. Doch sie wird trotzdem wieder blühen. Denn das ist der Sinn des Lebens.«
Er setzte sich, das Gesicht dem Fluss zugewandt, und brachte kein Wort mehr hervor, bis man ihm eine Flasche Whiskey reichte. Und dann betrank er sich sinnlos, wie die anderen Überlebenden auch.
Am nächsten Morgen waren sich Cox und die übrigen Goldgräber einig, dass
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