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Zebulon

Zebulon

Titel: Zebulon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rudolph Wurlitzer
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aus dem Stift seiner Gürtelschnalle gebastelt hatte. Etwas weiter abseits stand Zebulon am Ufer und beobachtete einen Blaureiher mit einem lädierten Flügel bei dem Versuch, sich aus dem Wasser in die Luft zu erheben. Immer wieder schlug er mit seinen Flügeln, und immer wieder fiel er zurück.
    Ein Schuss krachte, und eine Kugel riss dem Reiher den Kopf ab.
    Hatchet Jack ging auf Zebulon zu.
    »Ein Vogel kann mit einem Flügel nicht fliegen«, sagte er und steckte seinen Colt in den Gürtel. »Hat er noch nie gekonnt, wird er nie können.«
    »Willst du damit sagen, ich kann nicht mit einem Flügel fliegen?«, fragte Zebulon.
    »Ich will sagen, einer von uns wird fliegen, dem anderen wird es nicht gelingen.«
    »Wird was nicht gelingen?«
    Hatchet Jack zuckte die Achseln. So weit vorausgedacht hatte er noch nicht.
    Er ging zu einem Kanu, das halb im hohen Schilf verborgen war. Als er hineinstieg und auf den See hinauspaddeln wollte, watete Zebulon ins Wasser und hielt das Kanu am Heck fest.
    Hatchet Jack hob das Paddel hoch über seinen Kopf, und keiner von beiden rührte sich, beide warteten darauf, dass der andere eine Entscheidung traf.
    »Kommst du oder gehst du?«, fragte Hatchet Jack und legte das Paddel zurück. »Vielleicht hast du Angst, weil du im Wasser bist? Lass dir eins gesagt sein: Wenn du ertrinkst, brauchen sie dich nicht aufzuhängen.«
    Zebulon kletterte in das Kanu und setzte sich ins Heck, und Hatchet Jack paddelte auf den See hinaus. Dann ließ er das Kanu treiben.
    »Wie lange kennen wir uns jetzt?«, fragte er.
    »Lange genug«, antwortete Zebulon.
    »Wenn du mich nicht gerade umbringen wolltest, oder ich dich, sind wir ganz gut miteinander ausgekommen. Ich hab dir auf deine erste Hure raufgeholfen, dich aus einer Biberfalle gezogen, dein kaputtes Bein geschient und dich mehr als einmal davor bewahrt, skalpiert zu werden.«
    »Und du hast mir ein paar Mal den Kopf unter Wasser gedrückt«, sagte Zebulon.
    »Ja, gut«, gab Hatchet Jack zu. »Und du hast mich mehr als einmal bewusstlos geschlagen. Damit sind wir quitt.«
    »Hat dir Plaxico geraten, das zu sagen?«
    »Er hat mir gesagt, ich muss mich mit dir versöhnen, und mit Elijah und Annie May.«
    »Was geht das den an?«
    »Er hat gesagt, andernfalls … Willst du’s wissen oder nicht?«
    Zebulon schwieg, aber Hatchet Jack sagte es ihm trotzdem. »Plaxico ist der Mexikaner, der mich beim Pokern an deinen Pa verloren hat. Er hat mich aufgespürt, um mir das zu sagen. Seitdem hat er mir allerlei beigebracht, als Wiedergutmachung sozusagen. Sonst wird ihm das ewig nachhängen, sagt er, und es wird eine üble Reise für ihn, wenn er sich ins Jenseits aufmacht. Er sagt, es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit auf dieser Erde.«
    Sie saßen da und schauten zu, wie die Sonne hinter die Berge glitt. Als kein Licht mehr auf den See fiel, zog Hatchet Jack den Colt aus dem Gürtel und ließ ihn von einer Hand in die andere wandern. »Denkst du, das war ich, der dich damals in dem Saloon angeschossen hat?«
    »Und, warst du’s?«
    »Was glaubst du denn?«
    »Ich glaube, du warst es.«
    »Aber ich war’s nicht.«
    »Vielleicht wär’s dir aber ganz recht?«
    »Das ist was anderes.«
    Hatchet Jack ließ den Colt sinken. »Du hast sie verlassen, ich aber nie. Deshalb zieht sie mich dir vor.«
    Er gab Zebulon den Colt. »Na los, leg mich um. Ich hab genug davon, zu jagen und gejagt zu werden. Genug davon, nicht zu wissen, was ein Traum ist und was nicht. Genug von dir, genug davon, was Plaxico mir auferlegt, genug davon, deine Hexe zu bespringen oder nicht zu bespringen, genug davon, über einsame Pfade in gottverlassenen Gegenden zu reiten.«
    Zebulon hob den Colt, mehr aus Frust als aus Ärger, und gab ihn dann Hatchet Jack zurück, der ihn in seinen Gürtel steckte.
    »Wir sind auf das falsche Ziel fixiert«, sagte Hatchet Jack. »Es geht um Delilah. Egal, was Plaxico sagt, einer von uns beiden sollte sie auspusten. Plaxico weiß Sachen, von denen wir keine Ahnung haben. Wie übel sie uns mitgespielt hat, weiß er nicht. Aber wir werden es nicht tun, oder?«
    »Nein«, stimmte Zebulon zu.
    »Und ich werde dich nicht auspusten.«
    »Stimmt.«
    »Also sollten wir vielleicht sie fragen, wen sie vorzieht?«
    »Das schafft sie nicht«, sagte Zebulon, »so viel steht fest. Schon gar nicht jetzt, wo ihr Bauch bald aufspringt und sie nicht weiß, wer der Vater ist. Du könntest es sein. Ich könnte es sein. Oder auch der Graf oder ein anderer. Wir haben es

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