ZECKENALARM IM KARPFENLAND
Dirk Loos wurde stillschweigend auf die Zeit nach dem Abendessen verschoben. Die gemeinsame Brotzeit zog sich eine dreiviertel Stunde hin und wurde mit drei vollen Schnapsgläsern Williams-Christbirne abgeschlossen. Dann begann Dirk Loos mit seinem ausführlichen Bericht:
„Also meine Damen, das deutsche Adoptivgesetz ist wirklich recht kompliziert.“
„Däd mi aa wundern, wenns ned su wär. Was is bei uns ned komblizierd?“, gab die Retta ihren Senf dazu.
„Grundsätzlich“, fuhr Dirk Loos fort, „gab es bis 2009 nach der Geburt zwei Urkunden, die Abstammungsurkunde und die Geburtsurkunde.“
„Und danach?“, wollte die Retta wissen.
„Komm ich noch drauf. Lasst mich erst erzählen. Erstere gibt unter anderem Auskunft über die leiblichen Eltern. Kommt es im Rahmen einer Adoption zu einer Namensänderung wird dies auch in der Abstammungsurkunde festgehalten. Bei einer Adoption wird eine neue Geburtsurkunde ausgestellt. Darin werden nur die Adoptiveltern als Elternteil eingetragen, wobei aus dieser Geburtsurkunde nicht hervorgeht, dass es sich um eine Adoption handelt. Die gängigste Art der Adoption war damals die sogenannte Inkognito-Adoption. Das heißt, die abgebenden Eltern erfahren nicht, wer die neuen Eltern sind. Umgekehrt aber erfahren die annehmenden Eltern die Daten der abgebenden Eltern sowie die Vorgeschichte des Kindes.“
„Wie solln mier dann rausfinna, wer die dadsächlichn Eldern sen?“, warf die Retta ein.
„Wenn es dazu nicht sowieso schon zu spät ist“, merkte Dirk Loos an, „die meisten Behörden, also Jugend- beziehungsweise Adoptionsämter, heben die Unterlagen nicht länger als fünfundzwanzig bis dreißig Jahre auf. Und jetzt kommt es: Die Abstammungsurkunde ist mit Wirkung zum 1. Januar 2009 abgeschafft worden. Aber das betrifft unseren Fall Gott sei Dank ja nicht. Die einzige sichere Methode, die leiblichen Eltern des verstorbenen Obdachlosen herauszufinden ist jedenfalls, bei dessen Geburtsstandesamt Einsicht in sein Geburtenregisterblatt zu nehmen. Auf dem Originaleintrag müssten weiterführende Angaben zu den leiblichen Eltern existent sein.“
„Dees hasd du gud gmachd, Dirk“, lobte ihn die Kunni, „und dees habbi aa verschdandn. Edz missersd du mier bloß nu soogn kenna, in welcher Schdadd odder in welchn Kaff dees Geburdsschdandesamd vo dem Kuno Seitz is.“
„Das herauszufinden, liebe Kunni, überlasse ich dir. Du hast doch immer so intuitive Ideen. Was sagt denn der Kommissar Leitmayr dazu?“
„Der sochd im Momend goar nix. Der is aa baff! Abber vielleichd mussi den Kommissar Fuchs eischaldn, vielleichd find der was raus? Wenner will. Der is ja manchmal so schdur, dasser schdessd. Red immer bloß vo Vorschrifdn, wenn iech ihn amol um an Gfalln biddn du.“
Dirk Loos schmunzelte schelmisch vor sich hin. „Ich habe euch noch nicht alles gesagt. Ich habe mich natürlich auch erkundigt, wer überhaupt in die Adoptionsakten Einsicht nehmen darf. Hört zu, ich lese jetzt wörtlich vor.“ Dabei zog er einen Zettel aus seiner Hosentasche, entfaltete ihn und setzte seine Brille auf. „§61 Personenstandsgesetz sagt unter anderem Folgendes: Ist ein Kind angenommen, so darf nur Behörden, den Annehmenden, deren Eltern, dem gesetzlichen Vertreter des Kindes und dem über sechzehn Jahre alten Kind selbst Einsicht in den Geburtseintrag gestattet werden.“ Dirk Loos machte eine Pause. „Aufgepasst, jetzt kommt’s: Diese Beschränkungen entfallen mit dem Tod des Kindes.“
Kunni und Retta sahen sich an. Dann entglitt Kunni Holzmann ein Lächeln. „Dirk, du bisd mier a ganz scheener Schlawiner. Erschd erschriggsd zwaa alde Weiber, und dann magsd di aa nu ieber uns lusdich. Abber deswegn wissen mier immer nunni, wu dees Geburdsschdandesamd liechd.“
„Da hast du recht, Kunni, aber denk doch mal nach, woher wir diese Information bekommen könnten!?“
„Iech verschdeh goar nix mehr“, jammerte die Retta.
„Abber iech“, strahlte auf einmal die Kunni, „aus den Vermiddlungsagden!“
„Richtig!“, rief Dirk Loos, dem dieses Spiel zwischenzeitlich richtigen Spaß bereitete.
„Abber dees nüdzd uns aa ned viel“, stellte die Kunni enttäuscht fest. „Du hasd ja gsachd, dass die Aggdn schbädesdens nach dreißg Joahr vernichd wern.“
„Nicht mehr, liebe Kunni, nicht mehr. Bis zum Jahr 2002 war das so, aber seitdem müssen die Vermittlungsakten bis zum sechzigsten Geburtstag des Adoptierten aufbewahrt werden.“
Kunni rechnete kurz nach.
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