Zehn (German Edition)
wie sehr das Kind gewachsen war, wenn er Tekka wiedersah.
Lange hatte Herr Masamori überlegt, bevor er zum Telefon griff. Doch schließlich hatte er seinen Sohn angerufen und ihn gebeten, im Laden vorbeizukommen, wegen des Fernsehers. Akira hatte verschlafen geklungen. »Ja, ja … ich komme!« Aber nun war fast Ladenschluss, und Akira war nicht gekommen. Vielleicht hatte er ihn falsch verstanden.
Herr Masamori seufzte. Als Akiras Mutter noch gelebt hatte, war es einfacher gewesen, zum Sohn Kontakt zu halten. Doch seit drei Jahren war es eben schwierig. Seitdem gab es nur noch den Laden und die Katze.
Die Katze ShiShi und den Laden voller Zôri, japanischer Schlappen.
Eigentlich sollte die Katze »Shirley« heißen. Als junger Mann hatte Herr Masamori einen amerikanischen Film gesehen, »Irma la Douce«, mit Shirley MacLaine. Er war vierundzwanzig Jahre alt gewesen und hatte nie eine solche Frau gesehen. So grüne, funkelnde Augen. Solche Frauen gab es in Japan nicht.
Er hatte sie tief verehrt und den Film viele Male gesehen, in einem kleinen Kino in Golden Gai. Die Vorstellungen waren inoffiziell und fast illegal. Ein Film über eine Prostituierte durfte damals in Japan nicht einfach so gezeigt werden. Als er zwei Jahre später seine Frau kennenlernte, hatte er seine Verehrung begraben. Nur noch selten erlaubte er sich träumerische Gedanken an Shirley MacLaine.
Jahre später hatte er dann die Katze Shirley getauft. Das Tier war wild und anschmiegsam zugleich, so wie ihre Namensgeberin, fand Herr Masamori. Aber der Name war zu kompliziert. Niemand konnte ihn aussprechen. Aus Shirley wurde schnell ShiShi.
Die Zôri verkauften sich immer. Bei Japanern und Touristen. Ganz früher hatten Herr Masamori und seine Frau die Zôri handgefertigt, heute bestellte er sie beim Großhandel. Es gab die traditionellen Modelle mit Holz- oder Reisstrohsohle. Mit weißem Kreuzband für den Herrn und rotem für die Damen.
Das klassische Modell hatte eine bis zu fünf Zentimeter hohe Sohle, damit der Kimono nicht über den Boden schleifte.
Aber Herr Masamori verkaufte auch moderne Zôri aus Plastik in allen erdenklichen Farben. Natürlich führte er auch die weißen Tabis, Socken, in allen Größen, die man traditionell zu Zôri trug. Es war ein kleiner Laden, aber Herr Masamori war stolz auf seine große Auswahl.
Er selbst trug jeden Tag Zôri. Auch seine Frau hatte immer Zôri getragen, selbst im Winter. Akira hingegen trug Turnschuhe. Schon als Kind hatte er sich gesträubt, Zôri zu tragen. Das Kreuzband hatte ihn zwischen den Zehen gestört.
Der Fernseher rauschte weiter.
Herr Masamori schlug vorsichtig mit der flachen Hand auf das Gehäuse. Aber außer einem unruhigen Grau gab es nichts zu sehen.
»Das hilft nichts! Du brauchst ein Antennenkabel!« Er hatte Akira nicht eintreten hören.
Damit hatte er nicht gerechnet. Die beiden verbeugten sich. Der alte Mann erkundigte sich nach Tamiko und Tekka.
Akira schien schläfrig, er gab kurze Antworten und schien in Eile. »Hast du abgenommen?«
Die Frage kam überraschend. Herr Masamori zuckte mit den Schultern. Seit einigen Wochen hatte ihn sein Appetit verlassen. Er war erstaunt, dass Akira es bemerkt hatte. Er trug wie immer Turnschuhe, und sein Haar war lang.
Der alte Mann hustete.
Akira hatte sich schon wieder abgewandt. Er sah sich den Fernseher von allen Seiten an. Herr Masamori beobachtete ihn still. Manchmal erinnerte Akira ihn an dessen Mutter, seine verstorbene Frau. Die Art, wie er sich nachdenklich das Kinn rieb und die Stirn in Falten legte, berührte Herrn Masamori auf seltsame Weise.
Der Sohn hatte ein zusätzliches Kabel dabei, und nach einigem Suchen hatte er hinter einem Stapel leerer Schuhkartons den Anschluss für das Antennenkabel gefunden. Akira war überraschend geschickt. Er drehte die kleine Antenne hin und her, bis es schließlich ein Bild gab. Ein Sportkanal. Es dauerte eine Weile, bis er noch ein zweites Programm fand. Während Akira die Antenne drehte und an den Knöpfen des Fernsehapparats herumdrückte, machte Herr Masamori eilig Tee. Vielleicht würde der Sohn noch etwas bleiben.
Aber als er das kleine Tablett abstellte, winkte Akira ab. »Ich muss schon wieder los. Tekka hat gleich ein Fußballspiel!«
Herr Masamori war verwirrt. »Wo ist Tekka denn jetzt?« Er hatte den Enkel vor acht Wochen zum letzten Mal gesehen.
»Im Auto. Mit Tamiko! … Draußen.«
Herr
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