Zehn (German Edition)
Rings.
Das Bündel war für Andre, das wusste er. Es war ein Geschenk. Andre lachte ihm zu und hob ihn mit einer Hand über die Bande zu sich in den Ring. Jetzt war es ganz still in der Halle. Herr Masamori war geblendet vom Scheinwerferlicht und musste blinzeln. Klein stand er vor dem Riesen. Er überreichte Andre das Bündel. Der Riese legte beide Schwerter ab und öffnete das Tuch. Die Zuschauer in den ersten Reihen waren aufgesprungen und reckten die Hälse, alle wollten das Geschenk des alten Mannes sehen.
Andre lächelte breit. Es waren Zôri, riesige Zôri. Andre verbeugte sich tief vor Herrn Masamori, und der tat es ihm gleich. Beide hielten die Verbeugung einige Sekunden, ein Ausdruck tiefer Verehrung und Dankbarkeit. Dann zog der Riese die Zôri an. Tosender Beifall brach aus. Jetzt erkannte der alte Mann Akira, Tamiko und Tekka im Publikum. Tekka winkte ihm aufgeregt zu.
Er erwachte mit einem Lächeln. Es war noch früh. Vorsichtig stand Herr Masamori auf und horchte in sich hinein. Die Schmerzen waren noch nicht erwacht.
Es war bereits heiß. Er wusch sein Gesicht. Im Spiegel sah er einen alten, hageren Mann. Es wurde ihm bewusst, wie selten er sich selbst ansah, fast schien ihm dieses Gesicht fremd. Langsam kleidete er sich an und fütterte die Katze, die ihm schnurrend um die Beine strich. Dann setzte er Tee auf. Er musste essen. Eine Suppe vielleicht. Er dachte an den Traum. An den großen Samurai, der ihn nicht losließ.
Vorsichtig trug er den Tee in den Laden hinüber und schaltete den Fernseher ein.
Es war, als habe Andre auf ihn gewartet.
Es lief eine Wiederholung der Sendung vom Vortag. Gerade hielt der blonde Hulk den goldenen Siegergürtel in die Höhe, während Andre erschöpft zu Boden blickte. Das Publikum kreischte und johlte.
Herr Masamori hatte die Suppe vergessen. Gebannt schaute er seinen neuen Freund an, fast wartete er auf ein Winken, ein Lächeln von ihm.
Es folgte die Sendung über Andre, das Leben des Riesen. Herr Masamori versuchte sein Bestes, die japanischen Untertitel mitzulesen.
Es gab Schwarz-Weiß-Fotos von Andre als Kind. Er war in Frankreich geboren, als Kind polnisch-bulgarischer Eltern. Als junger Mann begann er zu wachsen und arbeitete hart auf einer Farm. Es gab ein Foto, auf dem Andre seine Eltern weit überragte. Die Eltern waren einfache Leute, Stolz leuchtete in ihren Augen. Unwillkürlich musste Herr Masamori an seinen Sohn denken. Wann hatte er jemals stolz neben Akira gestanden?
Der alte Mann hatte sich bald ganz in der Geschichte des Riesen verloren und vergaß, den Laden zu öffnen. Der Tee stand kalt neben ihm. Irgendwann wurde Andre dann zum Samurai. Er zog nach Amerika, so viel verstand Herr Masamori. Fünfzehn Jahre lang konnte ihn niemand besiegen. Es gab sogar Bilder von Andre in Japan. Er hatte in seinem Land gegen Samurai gekämpft und seine Ehre verteidigt!
Fast hätte er das Klopfen an der Ladentür nicht gehört. Erschrocken sprang er auf. Ein junger Mann mit Baseballkappe und eine Japanerin standen vor der Tür.
Er öffnete und verbeugte sich entschuldigend. Die Frau fragte, ob sie hereinkommen dürften. Der Mann mit der Kappe lachte breit, er hatte sehr weiße Zähne.
Herr Masamori entschuldigte sich noch einmal für seine Unaufmerksamkeit und bat beide herein.
Die Frau sah sich die traditionellen Zôri an. Sie war westlich gekleidet, benahm sich jedoch sehr japanisch. Sie sei in Tokio geboren, habe jedoch ihren Mann in Washington geheiratet. Nun komme sie einmal im Jahr zum O-bon nach Hause. Ihr Mann, der Amerikaner, nickte ihm freundlich zu.
Während die Frau ein Paar Zôri anprobierte, wurde ihr Mann auf den Fernseher aufmerksam.
»Hulk Hogan gegen Andre den Riesen!« Er lachte. »Sind Sie Wrestlingfan?« Seine Frau übersetzte. Herr Masamori war erstaunt, der Riese musste weltbekannt sein. »Wo kämpfen die beiden Krieger?«, wollte er von dem Amerikaner wissen. Die Frau, die ihre Turnschuhe ausgezogen hatte, um Zôri anzuprobieren, übersetzte.
Der Amerikaner lachte. »Soweit ich weiß, findet die Wrestlemania unter anderem in Florida, ich glaube, in Orlando, statt. Aber so genau kenne ich mich da nicht aus.«
Die Japanerin kaufte zwei Paar Zôri und versprach, bei ihrem nächsten Tokiobesuch wiederzukommen. Auch der Amerikaner verbeugte sich zum Abschied.
Der alte Mann sah den beiden nach. Dann fühlte er plötzlich, wie das Fieber erwachte. Langsam, fast
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