Zehn Milliarden (German Edition)
aufgenommen wurden, die als helle, blaue Punkte erschienen. Ein separater Bereich des Bildschirms beschrieb grafisch und in Zahlen ausgedrückt, was die Bots aufgefangen hatten.
»Kommst du?«, fragte Julie, als sie den Kopf durch den Türspalt streckte.
»Wie - ach so, wir wollten ja Schluss machen.« Die Freude an der gelungenen Simulation hatte ihn in seinem Büro zurückgehalten. Aber Julie kam genau richtig, es war Zeit, sie einzuweihen. Er winkte sie herbei und zeigte auf den Bildschirm.
»Irgendwie kommt mir das bekannt vor«, sagte sie unsicher. »Was sollen diese Symbole? Sieht aus wie ein Computerspiel.«
»So etwas Ähnliches ist es auch«, antwortete er geheimnisvoll. Tatsächlich hatte er dreizehn Schaltflächen mit liebevoll detaillierten Miniaturbildchen der Pokerkarten Karo 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, Bube, Dame, König, Ass am Rand des Bildschirms aufgereiht. »Damit simuliere ich die äußeren Reize für dieses schöne Gehirn. Er klickte nacheinander auf verschiedene Karten und erzeugte jedes Mal ein anderes Muster aktivierter Neuronen. Das Muster, das eine einzelne Karte erzeugte, war zwar auch nicht immer das gleiche, doch die Unterschiede hielten sich in engen Grenzen. Die simulierten Nanobots erkannten die Karte bei jedem Klick eindeutig wieder. »Ich bitte Frau Doktor zu beachten, dass dieser Versuch auf einer realistischen, dynamischen Simulation der Bots beruht«, dozierte er stolz. Julie verstand sofort. Wenn das stimmte, ließen sich von diesem Bildschirm durchaus Rückschlüsse auf die Wirklichkeit ziehen.
»Das ist also der Grund, weshalb du mich in letzter Zeit kaum mehr wahrgenommen hast«, sagte sie mit beleidigter Miene und setzte sich kurzerhand auf seinen Schoss.
»Meine Wahrnehmung ist doch vollkommen in Ordnung«, brummte er. Als Beweis schlang er die Arme um sie und fasste ihr dabei herzhaft an die Brüste. Sie ließ es ohne weiteres geschehen, bemerkte lediglich trocken:
»Wir sollten vielleicht die Tür schließen, wenn du gleich hier Busse tun willst.« Schmunzelnd löste sie sich aus seinem Griff und erhob sich wieder. »Diese Aktionsmuster der einzelnen Karten sind nur frei erfundene Beispiele zu Demonstrationszwecken, nicht wahr?«
»Nicht ganz. Ich habe eine ganz grobe Vorstellung, was in welchen Regionen der Hirnrinde abläuft und wie sie einander beeinflussen, wenn sie auf diese Reize reagieren. Ich habe mir die Mühe gemacht, meine Hirnströme beim Betrachten dieser Karten genau auszumessen, natürlich nur oberflächlich mit einem EEG.« Sie nickte nachdenklich und sprach schließlich aus, was ihn schon lange beschäftigte:
»Wenn wir die Neuronenaktivität mit den Nanobots beobachten könnten, würden wir eine hohe dreidimensionale Auflösung erreichen.«
»Bingo«, stimmte er lächelnd zu. »Und angenommen, dass die so gemessenen Muster und Überlagerungen wirklich stabil reproduzierbar sind, könnten wir ...?«
»Gedanken lesen! Wenigstens bekannte Gedanken erkennen, zum Beispiel den visuellen Eindruck beim Betrachten von Spielkarten«, ergänzte sie ohne zu zögern. Lange blieb es still im Zimmer, bis sie ihn plötzlich entsetzt anblickte. »Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, dass ich deine schmutzigen Gedanken lesen müsste.« Er lachte laut auf.
»Kannst ja wegschauen.«
»Will ich aber nicht.« Sie ergriff seine Hand und zog ihn vom Sitz hoch. »Komm jetzt, ich bin heiß!«
Nick schlief nicht gut in dieser Nacht. Immer wieder kehrten die Gedanken zu den farbigen Neuronengewittern auf seinem Bildschirm zurück. Vor seinem inneren Auge entstanden bizarre Muster aus dem Nichts, wandelten sich, griffen ineinander, überlagerten sich und verschwanden wieder, als verglühten die letzten Funken eines fantastischen Feuerwerks. Unruhig wälzte er sich im Bett hin und her, während Julie zufrieden neben ihm schlummerte und nur hin und wieder tief Atem zu holen schien. Auf dem Rücken liegend starrte er mit leerem Blick an die dunkle Decke. Seit Tagen reifte ein schwerwiegender Entschluss in seinem Kopf. Er musste jetzt endlich Farbe bekennen und den letzten Schritt seiner Vision umsetzen. Nein, es gab kein Zurück mehr, er wollte jetzt Gewissheit. Morgen wollte er mit ihr darüber reden. Als er sich zu dieser Entscheidung durchgerungen hatte, fand er endlich Ruhe und fiel in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
»Bist du vollkommen übergeschnappt?«, ereiferte sich Julie, als er ihr seinen Entschluss mitteilte. »Du kannst doch nicht ernsthaft in dieser
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