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Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Titel: Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hallgrimur Helgason
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kommen«, sagt sie mit einem eiskalten, gummikauenden Lächeln. In ihrer knappsitzenden Jacke, der Jeans und den Turnschuhen sieht sie einfach umwerfend aus.
    »Dieser Kerl ist gefährlich. Der ist so einsam wie ein schwarzes Loch. Der könnte dich innerhalb von Sekunden verschlucken. Worüber habt ihr geredet?«
    »Nichts Bestimmtes. Er hat mir von dem Bauernhof seiner Familie erzählt. Dass seine Mutter Marmelade kocht und er früher selbst die Beeren dafür gesammelt hat. So Kram halt.«
    Beerenpflücker ist er also auch noch. Diese Tarnung wird ja immer perfekter. Wir betreten meine Zelle und reden die nächsten vierzig Minuten nicht. Ich ziehe die Matratze von ihren wackeligen Holzfüßen und lege sie auf den Boden. Auch sonst versuchen wir, möglichst wenig Geräusche zu machen, da die Wände meines Zimmers, wie gesagt, nicht bis zur Decke reichen. (Als wäre man in einer großen Klokabine.) Ich will nicht, dass Balatov mich als Sexfantasie in seinem Hirn einlagert - auf einem Regal, wie Marmelade, neben der Fantasie mit ihm und Patti LaBelle auf dem Rücksitz ihrer Limousine.
    Dann liegen wir nebeneinander auf der dicken Matratze, meine warme Gunnhildur und ich, schauen in das Neonlicht und lauschen den Autos, die vom Parkplatz fahren. Es ist Ladenschluss. Die Tag-3-Mädchen aus dem schicken Fliesengeschäft und dem indischen Möbelparadies machen Feierabend, zielen mit Schlüsseln auf ihre Autotüren oder werden von ungeduldigen Freunden in schwarzen BMWs abgeholt.
    »Was heißt Island auf Isländisch?«
    »Island.«
    »Das klingt wie Easy-Land.« »Na ja.«
    »Ihr seid ja auch nicht besonders easy.«
    »Im Gegenteil«, sagt Gunnhildur. »Wir sind ein ungeduldiges Volk.«
    »Warum eigentlich?«
    »Wahrscheinlich, weil wir so wenige sind. Jeder versucht, drei verschiedene Personen gleichzeitig zu sein. Wir tun unser Bestes, damit Reykjavik aussieht wie New York.«
    »Da habt ihr aber noch einiges zu tun.«
    »Ich tue, was ich kann. Vormittags bin ich Kellnerin, nachmittags Sekretärin und abends lerne ich Masseurin.« »Masseurin?« »Ja. Seit letzter Woche.«
    Ich stehe kurz vor dem Heiratsantrag. Wir reden eine Weile über Massage. Sie erklärt mir den Unterschied zwischen schwedischer und Shiatsu-Massage und ich ihr den Unterschied zwischen Körper- und Ganzkörpermassage. Dann liegen wir eine Weile schweigend da, bis ich sage: »Ich glaube, ich wäre nicht gern Profikiller in Island.«
    »Warum nicht?«
    »Ihr seid eh schon so wenige.«
    Sie lacht ihr rauchiges Lachen, das in einem Hustenanfall endet. Sie braucht eine Zigarette.
    »Warum seid ihr eigentlich so wenige? Wo es hier doch nie Krieg gab.«
    »Manche sagen, das Klima ist unser Krieg. Eis kann genauso tödlich sein wie Feuer.«
    Ein Blick in die Vergangenheit erkläre, warum es nur so wenige Isländer gibt, sagt sie, während sie meinen Raum mit ihrem Rauch füllt. Vulkanausbrüche, Seuchen und harte Winter haben die Bevölkerung in früheren Jahrhunderten fast ausgerottet. Erst in den letzten fünfzig Jahren ist sie um 150000 gewachsen. Ungefähr so viele sind in unserem Krieg gestorben. Wir hätten das Problem also auch lösen können, wenn wir die ganzen Leute nach Island geschickt hätten - schließlich ist hier Platz für zehn oder gar zwanzig Millionen. Aber sie hätten die wohl nicht reingelassen, sagt Gunnhildur. Der Killer verneigt sich vor seinen Mitmenschen, die lieber mit ansehen, wie Leute sterben, als ihnen zu erlauben, in ihrem Garten zu zelten.
    Wir sprechen über den Krieg, Gunnhildur raucht weiter und fragt nach meinem Bruder Dario.
    »Wie alt war er, als er starb?«
    »Drei Jahre älter als ich. Dreiundzwanzig.«
    »Krass. Wie war er denn so? Wart ihr euch ähnlich?«
    »Nein. Er war unser Held. Der Lieblingssohn. Er war viel sportlicher als ich, sah aus wie ein griechischer Gott und ... war im Stabhochsprung-Nationalkader. Kennst du Sergei Bubka?« »Nein.«
    »Echt nicht? Der größte Sportler aller Zeiten. Kommt aus der Ukraine. Er hat Gold gewonnen in Seoul. Und Dario eine Weile trainiert. Bubka war sein großer Held. Und ausgerechnet in der Nacht, in der Dario starb, hat Bubka einen neuen Weltrekord aufgestellt. Seinen zwölften oder so. 6,08 Meter. Irgendwo in Russland. Als ob die Seele meines Bruder ihn noch ein paar Zentimeter höher gehoben hat. Seelenhochsprung.«
    Scheiße. Jetzt werde ich wirklich zu sentimental für mein Eismädchen.
    »Wow. War dein Bruder je bei Olympia dabei?«
    »Nein. Aber er wäre '96 nach

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