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Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen

Titel: Zehn Tipps, das Morden zu beenden und mit dem Abwasch zu beginnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hallgrimur Helgason
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gefüllt mit Vogelgeschrei.
    »Ist das der einzige Grund?«
    »Nein. Ich weiß nicht...«
    Sie sieht mich an. Ihre Gatorade-Augen sind zwei blaugrüne heiße Quellen in der Felslandschaft um uns herum, die aussieht wie auf den Fotos im Bordmagazin auf dem Flug hierher. Sie sieht mich immer noch an. Will sie wirklich ihr Leben mit diesem toxischen Müll verschwenden?
    »Willst du, dass ich hier bleibe?«, frage ich dann.
    »Ich weiß nicht. Ich frage ja nur.«
    Sie nimmt sich eine Zigarette. Sie fällt aus ihren zitternden Händen. Sie hebt sie auf und steckt sie zwischen ihre Lippen. Zündet sie an.
    »Ich meine ja nur, ich muss ohnehin bleiben. Erst mal«, sage ich. »Erst mal?«
    Rauch begleitet ihre Worte. Ich mag den Geruch, hier draußen, in der kalten Luft. »Ja, ich...« »Gefällt es dir?«
    »Island? Ja, klar. Wie kann einem das nicht gefallen?«, sage ich und weise auf die Landschaft, die das perfekte Bühnenbild für eine Liebesgeschichte auf einem fremden Planeten wäre.
    »Aber würdest du denn gerne hier ... leben?«
    »Meinst du für immer?«
    Sie nickt. Mein Apartment an der Spring Ecke Wooster erscheint vor meinem inneren Auge, auf meinem Flachbildfernseher ein Spiel von Hajduk, das Grillrestaurant an der nächsten Ecke und meine wunderbare schwarze Heckler & Koch, die unter einer losen Fliese hinter der Toilette liegt. Ich wringe meine rechte Hand mit der linken, während ich murmele: »Ich weiß nicht. Ich habe noch nicht darüber nachgedacht.«
    Sie springt auf, lässt die halbvolle Bierflasche im Moos liegen und läuft zum Auto.
    »Hey!«, rufe ich.
    Ich erreiche sie kurz vor der Landstraße, zwei Biere in den Händen. Der Vogel fliegt auf und eilt zu einem kleinen Tümpel auf der anderen Seite der Straße. »Hey, was ist denn los?«
    Als sie sich umdreht, sind ihre Augen nass. Wir stehen am Straßenrand, neben dem Auto.
    »Hast du nicht mal darüber nachgedacht?«, fragt sie.
    »Nein, also, denk doch mal an meine Situation. Was soll das denn bringen, wenn ich meine Zukunft plane.«
    »Und was ist mit MEINER SITUATION?«, fragt sie scharf und nimmt mit zitternden Lippen einen hektischen Zug.
    Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Ich hätte nie gedacht, dass diese Frau weinen kann. Der Vogel ist zurück, schreit uns an. Mich.
    »Es tut mir leid, Gunnhildur.«
    »Was ist das denn eigentlich für dich?«
    »Das mit uns? Das war der ... der heißeste Sommer, den ich je erlebt habe.« Meine Schultern zittern vor Kälte. »Wirklich?«
    »Ja. Der beste Sommer, den ich ...«
    »Wo ist dann das Problem? Bist du dir immer noch nicht sicher?«
    »Gun, also, du bist ein nettes Mädchen und ich bin ein ...« »Du bist ein toller Kerl.« Bin ich das?
    »Ein verdammt toller Kerl. Und jetzt willst du mir sagen, dass ...«
    Sie kann nicht weitersprechen. Nur rauchen. Dann wirft sie die Zigarette weg und geht zur Fahrerseite ihres Autos.
    »Willst du etwa ...«, versuche ich zu sagen.
    »JA!«, schreit sie, öffnet das Auto, steigt ein und zieht die Tür zu.
    Ich bleibe allein zurück, stehe zwischen dem Auto und Island,  mit zwei halbleeren Bierflaschen. Es scheint ihr ernst zu sein mit uns.
    Und mir?
    Ein nagelneuer Jeep nähert sich von Osten. Er wird langsamer, als er vorbeifährt. Ich sehe ein Talienisch aussehendes Paar um die fünfzig. Ein graumeliertes, sonnengebräuntes Liebespaar in dunkelblauen Windjacken und gelben Polohemden. Verdammte Glückspilze. Sie lächeln so sehr, dass man meinen könnte, an der Stätte des ersten Open-Air-Parlaments der Welt fände dieses Wochenende ein Gruppensex-Festival für Senioren statt. Die Frau auf dem Beifahrersitz hat sogar den Arm um ihren Mann gelegt, der, wenn mich nicht alles täuscht, ein bisschen so aussieht wie ein pensionierter Profikiller.
     

29. KOLLEGEN AUS KAUNAS
    Wir fahren schweigend zurück. Sogar das Radio bleibt aus. Ich starre aus dem Fenster und denke an meine beiden Koffer, die nun schon seit achtzig Tagen auf dem Gepäcklaufband in Zagreb ihre Runden drehen. Der mitternächtliche Sonnenuntergang ist so gut wie vorbei, nur in einigen Wolken, die wie ein Geschwader von Zeppelinen über einem Gletscher schweben, ist noch rotes Glühen zu sehen. Vor uns breitet die Stadt Reykjavik ihre Straßen und Viertel aus wie eine verzweifelte Frau, die mich anbettelt, sie zu lieben. Es erinnert irgendwie an L.A. bei Nacht; platt, riesengroß und voller Lichter. Der stumme Turm der Hauptkirche auf seinem Hügel in der Innenstadt ist das Einzige, was sich

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