Zehn zärtliche Kratzbürsten
verschwunden war, ohne ein Wort zu sagen? Zwar war er, der Ehemann, ebenfalls schon fast zwölf Stu n den allein unterwegs, aber nicht etwa, ohne Bescheid zu sagen. Er hatte von Anfang an erklärt, dass er die Geburtstagsblumen auf die Müllhalde bringen wolle, und auch wenn er es noch nicht ganz bis dorthin geschafft hatte, so war er doch die ganze Zeit in der Angel e genheit unterwegs. Seine Frau konnte ihm jedenfalls keine Faulheit oder Pflichtverletzung vorwerfen, sinnierte Rämekorpi ein wenig rachsüchtig. Er hatte so viele Blumen verteilt wie schon lange nicht mehr, gut ein halbes Dutzend Sträuße, und auch beachtliche Mengen Champagner, Kaviar und andere Delikatessen an den Mann oder vielmehr die Frau gebracht. Beim Stichwort Kaviar kam ihm in den Sinn, dass es vielleicht angebracht wäre, essen zu gehen, zur A b wechslung mal richtig in ein Restaurant. Sorjonen hatte sicher auch Hunger? Bloß Saunawurst reichte nicht als Abendessen für einen kräftigen Mann, auch wenn er sie mit kaltem Bier und einer entg e genkommenden Frau in seiner eigenen Gästesauna genossen hatte.
Die beiden Männer fuhren nach Töölö zum Restaurant Elite, dort setzten sie sich an einen Fenstertisch und bestellten gebratenen Strömling. Rauno Rämekorpi betonte, dass es in diesem Restaurant derzeit den besten Strömling Helsinkis gab. Sorjonen fand, im Salve schmeckte er mindestens ebenso gut. Klares Wasser und Weißwein begleiteten den kulinarischen Genuss des Fahrers und seines Kunden.
Beide waren sich einig: Wenn solche Fischgerichte in einem Par i ser Restaurant der gehobenen Kategorie angeboten würden, bekäme die Küche sofort eine Urkunde und zwei Michelin-Sterne als Zeichen für das Spitzenniveau der Köche.
An der Bar des Elite saß eine traurig dreinblickende Frau in mit t leren Jahren. Schöne Beine, registrierte Rauno Rämekorpi und starrte die attraktive Erscheinung unverwandt an. Wenn ein Mensch derart angestarrt wird, fühlt er sich instinktiv unbehaglich und schaut zurück. Diese Gewohnheit stammte bestimmt noch aus Urzeiten, sagte sich Rauno, und siehe da, die Schöne warf einen Blick zum Tisch der Strömling-Esser. Jetzt erkannte Rauno sie, es war Kirsti Korkkalainen, die mehr oder weniger zu Annikkis Freundinnen gehörte. Auch sie erkannte ihn sofort und nickte. Es schien, als hätte sie geweint, oder vielleicht litt sie an einer Herbstgrippe. Der Indus t rierat ging hin und lud sie an seinen Tisch ein. Er machte sie mit seinem Fahrer Seppo Sorjonen bekannt und bestellte ihr ein Glas Weißwein.
Rauno: Ist alles in Ordnung? Du wirkst recht niedergeschlagen.
Kirsti: Ich habe wieder mal Probleme. Auf der Arbeit läuft es be s tens, aber sonst ist alles ein einziger Schlamassel. Und bei dir? Ich hörte, dass du einen runden Geburtstag hast, herzlichen Glüc k wunsch.
Kirsti war in den Vierzigern, sie hatte seinerzeit Museologie st u diert und war Mitarbeiterin im Nationalmuseum. Während ihres Studiums hatte sie Heikki Korkkalainen geheiratet, und anfangs war die Ehe sehr glücklich gewesen. Ihr Mann hatte jedoch bald extreme Eifersucht an den Tag gelegt, hatte seine Frau krankhaft beherrscht und bewacht, war sogar mitten am Tag zu Kontrollbesuchen in der Wohnung erschienen, hatte Kirsti zum Hausfrauendasein gezwungen und war im Laufe der Jahre sogar gewalttätig geworden.
Zehn Jahre hatte die Pein der Ehe gedauert. Viele Male war Kirsti von ihrem Mann krankenhausreif geschlagen worden, aber sie hatte ihm immer verziehen, aus Angst und aus Liebe. Heikki hatte vor ein paar Jahren seinen Doktor gemacht und arbeitete als Wissenschaftler am Institut für praktische Philosophie der Universität Helsinki. In seinem Beruf war er tüchtig, er hatte einen guten Arbeitsplatz, und er schrieb Artikel für internationale Fachzeitschriften, die allgemeine Anerkennung fanden.
Nach der Trennung von ihrem Mann hatte Kirsti eine Arbeit au f genommen und war sehr erfolgreich darin. Ihr Leben wäre einige r maßen im Lot gewesen, wenn nur ihr Exmann sie in Ruhe gelassen hätte, aber weit gefehlt. Obwohl das Paar offiziell getrennt lebte, akzeptierte Heikki Korkkalainen die Situation nicht. Er drang mit seinem Schlüssel in die ehemalige gemeinsame Wohnung ein, und als Kirsti die Schlösser auswechseln ließ, brach er die Tür gewaltsam auf und misshandelte seine Exfrau. Mehrfach war die Polizei gerufen worden, aber zumeist gelang es dem intelligenten und verschlagenen Mann, die Situation zu seinen Gunsten auszulegen. Einige
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