Zehn zärtliche Kratzbürsten
Sorjonen servierte mit geübten Griffen einen orientalischen Salat, den er zubereitet hatte, während Rauno bei Eveliina war.
Als alles fertig eingedeckt war, chauffierte er Rauno zum Friedhof von Malmi. Rauno marschierte in seinen Lappenstiefeln und seiner roten Weihnachtsmannuniform durchs Haupttor hinein. Von der Ringstraße 1 und der Autobahn nach Lahti drang trotz der Steinma u ern das gleichmäßige Summen des Verkehrs herüber. Die schwar z blauen sibirischen Fichten bildeten eine finstere Gasse nach Norden, sie war ein paar hundert Meter lang, am anderen Ende glänzte das bereifte, silbrige, aus galvanisiertem Blech gefertigte Dach der Kapelle. Der Komplex bestand aus einem roten Ziegelgebäude mit zwei kleinen Kapellen zu beiden Seiten, unter der Kuppel stand die größere Hauptkapelle. Meisen und Winterdrosseln flatterten durch die Baumallee, und auf dem Boden flitzten Eichhörnchen herum und bettelten um Futter, doch der Weihnachtsmann hatte für sie nichts in seinen Taschen.
Der Friedhof war groß und öde. Die riesigen Fichten und Kiefern waren bereits so alt, dass sie keine gute Sägeware mehr abgeben würden, sie waren vermutlich durch und durch morsch, sagte sich Rauno Rämekorpi, einstiger Besitzer eines Exportsägewerkes. Einige Exemplare waren bereits gefällt worden. Die gewaltigen Bau m stümpfe sprachen die traurige Sprache vergangener Generationen, sie hatten Tausende Begräbnisse gesehen , und ihre Wurzeln hatten aus den modernden Überresten unzähliger Toter die Kraft fürs Wach s tum gesaugt, das schließlich mit dem Heulen der Motorsäge geendet hatte. Auf dem Gelände ruhten Helsinkier Arbeiter und Vertreter der unteren Mittelschicht, vielleicht auch der eine und andere feine Herr, und obwohl es der Vorabend von Weihnachten war, waren nur wenige Menschen auf den melancholischen Wegen unterwegs. Die gesuchte Tarja konnte Rauno zunächst nicht entdecken, aber hinter ihm tauchten zwei kleine Jungen, noch im Vorschulalter, auf, die jubelten, als sie auf dem Friedhof einen echten Weihnachtsmann entdeckten. Sie wollten von ihm Bonbons haben, aber er hatte nichts für sie dabei, und enttäuscht machten die Bürschchen kehrt und flitzten durch die Fichtengasse zu ihrer Mutter, die am Tor wartete.
Rauno Rämekorpi erreichte das Grab von Sara Langenskiöld und traf auf Tarja, die den Hügel ihrer Mutter anstarrte. Dort brannten mehrere Kerzen, und auch frische Blumen standen da. Rauno en t zündete Tarjas Kerze, und gemeinsam stellten sie sie auf den Hügel. Der Weihnachtsmann nahm seine Kapuze ab. Sie verharrten eine Weile schweigend.
Tarja äußerte ihre Verwunderung, dass die alten Liebhaber ihre Mutter immer noch nicht vergessen hatten, sondern treu Blumen brachten und Kerzen anzündeten. Erst einen Moment zuvor hatte sich ein eleganter Herr im Schutz der Grabsteine genähert, hatte zu Tarja geschielt, und als er festgestellt hatte, dass niemand am Hügel stand, war er mit seinen Blumen und Kerzen hingetrippelt. Er hatte den Hut abgenommen und gezittert, so als ob er weinte.
Rauno: Es gibt auf dieser Welt eben noch selbstlose Liebe.
Sie gingen zum Haupteingang, um auf Sorjonen zu warten. Auf der anderen Straßenseite gab es mehrere Blumenläden und Stei n metzwerkstätten. Vor der größten war eine Ausstellung arrangiert, dort standen gewöhnliche Grabsteine, doch auch große Marmorstelen und sogar Hirsche aus Beton. Als Kunsterzieherin konnte sich Tarja nicht verkneifen, die Friedhofskunst zu kritisieren, die ihrer Meinung nach unfassbar naiv war, ein Stein sah wie der andere aus, und in den Fällen, da die Fantasie ins Spiel gekommen war, war das Ergebnis bombastischer Kitsch. Falls sie auf dem Grab ihrer Mutter je einen Stein aufstellen würde, dann würde der stilvoll sein, sie würde ihn selbst entwerfen. Rauno Rämekorpi versprach, das Denkmal zu finanzieren.
Die kleinen Jungen stiegen mit ihrer Mutter in den Bus. Rauno musste an seine eigenen Söhne denken. Ihre Mutter hatte sie nach der Scheidung aus Rache vom Vater ferngehalten. Rauno hatte zu jener Zeit in Helsinki gewohnt, die Kinder in Oulu. Jahrelang hatte er seine Söhne nicht sehen dürfen, obwohl das Scheidungsgericht eindeutige Regelungen festgelegt hatte. Auf Briefe antwortete seine Exfrau nicht, und wenn er versuchte, seine Kinder anzurufen, knallte sie den Hörer auf. In ihre Wohnung konnte er nicht gelangen, die Schlösser waren ausgewechselt, und im Haushalt lebte ein neuer Mann, ein versoffener und gewalttätiger
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