Zehnkampf: Tannenbergs zehnter Fall
der Hütte«, begrüßte Jacob seinen Sohn. Er spreizte dabei die Finger so, als wolle er sich zwei Handbälle auf die Brust drücken. »Wie war die denn so …«, er brach ab, räusperte sich, »auf der Matratze?«
Tannenberg war dermaßen geschockt angesichts dieses sexistischen Auswurfs, dass er sekundenlang überhaupt keinen Ton herausbrachte.
»Du hast sie doch damals poussiert und auch mit ihr geschnackselt – oder?«, ließ der Senior nicht locker.
Seinem Sohn war diese Angelegenheit nach wie vor ausgesprochen peinlich. Und nun auch noch diese unverblümte Anspielung. Völlig perplex wich er dem lüsternen Blick seines biologischen Erzeugers aus, drehte ihm den Rücken zu und schlurfte zur Kaffeemaschine.
»Wo ist denn Mutter?«, versuchte er abzulenken.
»Im Garten, Blumen holen.«
Jacob deutete zur Küchentür, in der just in diesem Moment Johanna von Hoheneck auftauchte. In ihren Händen hielt sie einen farbenprächtigen Strauß Herbstastern. Ihre Schwiegermutter folgte ihr auf dem Fuße.
Wolfram Tannenberg warf seinem Vater einen hektischen Blick zu, der nur eines bedeuten konnte: Ich flehe dich an, halt den Schnabel!
Doch wie es der Teufel wollte, unterhielten sich die beiden Frauen ausgerechnet über dieses Thema. Als Hanne die gemütliche Wohnküche betrat, sagte sie über die Schulter zu Margot: »Du solltest besser auf deinen Mann aufpassen. Am Ende lacht er sich noch diese nymphomanische Psychologin an.«
»Ja, ja, wenn eine alte Scheuer brennt«, gab Margot betont gelassen zurück. Während ein süffisantes Lächeln ihren Mund umspielte, schaute sie hinüber zu ihrem Mann, der wie immer zeitungslesend am Küchentisch saß. »Weißt du, Johanna, Appetit kann er sich ruhig wo anders holen, aber gegessen wird zu Hause.«
»Da muss es aber auch schmecken«, grinste Jacob.
In seiner Verzweiflung stellte Tannenberg eine Frage, die er ansonsten mied wie der Teufel das Weihwasser: »Vater, steht heute Morgen etwas Interessantes über meinen neuen Fall in der Zeitung?«
Jacob reagierte wie gewünscht. Er zog die Bildzeitung vom Tisch, fuchtelte damit herum und spannte das Titelblatt vor seinem Kopf auf.
»Da steht’s: ›Pfalzkiller – zwei neue Opfer‹«, zitierte er den klotzigen Aufmacher.
Tannenberg schnappte sich die Zeitung und las kopfschüttelnd den effekthascherisch aufbereiteten Artikel. Anschließend nahm er die Pfälzische Allgemeine Zeitung und faltete sie auseinander. Auch die PALZ bombardierte den Leser mit ähnlich plakativen Überschriften wie die Boulevardpresse. Sie berichtete höchstens einen Deut weniger tränenreich und sensationslüstern über die zu beklagenden Mordopfer und die Tragödien, welche die Attentate in deren Familien ausgelöst hatten. Auf Seite drei des Lokalteils fand er endlich, wonach er suchte.
Das haben sie ja ganz genau so gemacht, wie wir es wollten, freute er sich im Stillen.
Auf dieser Zeitungsseite waren exakt die Informationen abgedruckt, um deren Veröffentlichung die Kriminalpolizei bei der Pressekonferenz am gestrigen Abend gebeten hatte. Einer inhaltlich stark auf das Wesentliche reduzierten Pfalzkarte konnte man die fünf Anschlagsorte und die jeweils errechneten Tatzeiten entnehmen. Mit Hilfe von angebrachten Pfeilen war es dem Leser möglich, den chronologischen Ablauf der Mordserie zu rekonstruieren.
Die an den Beinen der Opfer angebrachten Zitate wurden ebenfalls der Leserschaft präsentiert. Anhand konkreter Fragen wurde die Bevölkerung um tatkräftige Unterstützung bei der Tätersuche gebeten. Nicht fehlen durfte selbstverständlich der Hinweis auf eine Belohnung in Höhe von 50.000 Euro, die zur Ergreifung des Täters ausgesetzt worden war.
Auf der nächsten Seite fanden sich unter der Überschrift ›Eine Stadt sucht Deckung‹ zahlreiche Experten-Ratschläge zum adäquaten Verhalten angesichts der nach wie vor extremen Bedrohungslage. In diesem Zusammenhang wurde nochmals eindringlich vor sportlichen Betätigungen jedweder Art im Freien, besonders auf Sportanlagen mit uneinsehbarem Randbereich gewarnt.
Es folgten die Empfehlungen eines ehemaligen Scharfschützenausbilders zum Verhalten im Alltag, welche die Washington Post 2002 als Reaktion auf die ›Beltway-Sniper-Attacks‹ veröffentlicht hatte:
In unübersichtlichem Gelände die Laufrichtung abrupt ändern.
Gehen, wo es dunkel oder schattig ist.
Deckung suchen, notfalls ein Kissen vors Gesicht halten, sofern es unvermeidlich ist, stehen zu bleiben.
Beim Tanken
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