Zehnmall Männerliebe
und erinnerte sich an die Nacht, in der er erstmals seinen geheimen Vorlieben nachgegeben hatte.
Diesmal hatte Bronski ein Hotel auf der Insel gebucht, auf der Jorge hoffentlich noch lebte. Er stellte das Gepäck im Zimmer ab und begab sich sofort zum Hafen. Es war gerade Mittag vorbei und nur wenige Schiffe lagen am Kai. Bronski setzte sich in ein Café, von dem aus er die Anlage überblicken konnte, und wartete.
Nach vielen Stunden, die Sonne neigte sich schon dem Horizont zu, legten immer mehr Boote an der Mole an, darunter auch das von Jorge. Bronski erkannte es an dem vielfach geflickten Segel und nervös sprang er auf.
Der Fischer vertäute das Schiff, schleppte seinen Fang an Land und scherzte mit den anderen, während er die Netze leerte und zum Trocknen ausbreitete. Bronskis Herz raste und sein Blick klebte an Jorge. Plötzlich war dieser ihm fremd, sah so ganz anders aus als in seiner Erinnerung.
Jorge schulterte den Sack mit dem Fisch, rief den Kollegen einen Gruß zu und wandte sich zum Gehen. Bronski warf einen Geldschein auf den Tisch und folgte Jorge mit weichen Knien. Erst als dieser seine Hütte erreicht hatte, nahm Bronski allen Mut zusammen und rief leise: „Jorge.“
Der Mann erstarrte, der Sack glitt zu Boden, langsam drehte er sich herum.
„Bronski“, flüsterte Jorge und sein Gesicht erstrahlte in einem begeisterten Lächeln.
Bronski erfuhr, dass Jorge jeden Tag gebetet hatte, dass er zurückkäme. Das Geld hatte er nicht ausgegeben, nur einen winzigen Teil verwendet, um sich eine neue Hose zu kaufen.
Sie verbrachten die Nacht unter Sternen am Strand und verständigten sich mit Händen und Füßen, später auch mit ihren Lippen. Am nächsten Morgen war klar, dass Jorge Bronski folgen würde.
Geld öffnet so manche Tür, weshalb Bronski für Jorge in Deutschland ein Aufenthaltsrecht erwirken konnte. Der Fischer gewöhnte sich schnell ein, lernte eifrig die deutsche Sprache und alles erschien in einem rosigen Licht. Doch nach einem Jahr wurde Jorge immer trauriger und stiller, es schien fast, als wäre sein inneres Licht, das Bronski so für ihn eingenommen hatte, erloschen.
Eines Tages stellte Bronski ihn zur Rede und Jorge gab zu, dass ihm das Meer fehle, das Fischen und Menschen, mit denen er reden könne. Voller Angst, seinen Geliebten zu verlieren, wurde Bronski laut.
„Du hast hier doch alles! Ich bringe das Geld mit nach Hause und wir leben gut. Wenn es dich glücklich macht, können wir deine Heimat besuchen. Was willst du denn noch?“
Jorge schüttelte traurig den Kopf.
„Du verstehen nicht. Es ist nicht Geld, das zufrieden macht. Es ist Arbeit.“
Nein, das konnte Bronski beim besten Willen nicht verstehen, denn seine Arbeit machte ihn nicht glücklich.
Sie redeten die ganze Nacht und am nächsten Morgen hatte er eine ungefähre Vorstellung von dem, was Jorge sich wünschte. Bronski begann erneut zu planen.
Ilse hatte, wie sich nach ihrem Tode herausstellte, einen ganzen Batzen Geld beiseite geschafft, ohne dass Bronski es geahnt hatte. Nun stand ihm ein kleines Vermögen zur Verfügung, mit dem er Jorge seinen Traum erfüllen wollte, außerdem wurde dieser auch ganz langsam zu seinem eigenen.
Die Sonne brannte gnadenlos vom wolkenlosen Himmel. Bronski richtete sich ächzend auf und sah zu dem kleinen, weißgetünchten Haus hinüber, vor dem Jorge auf einem Stuhl saß und fröhlich summend Netze flickte.
Hier, auf Lesbos, hatten sie ihr Paradies gefunden. Das Häuschen hatte Bronski günstig erstehen können, ein paar Olivenhaine gehörten dazu. Er hob den Korb mit den aufgesammelten Oliven an und ging auf seinen Liebsten zu, der den Kopf hob und ihm entgegenstrahlte.
Im Hafen lag Jorges kleines Boot, mit dem er regelmäßig hinausfuhr, um zu fischen. So versorgten sie sich selbst mit Nahrung und verkauften den Fisch, den sie selbst nicht benötigten. Die Oliven und einige Schnitzereien, die Jorge mit seinen geschickten Händen anfertigte, sorgten für ein geringes Einkommen, von dem sie gut leben konnten.
Bronski trat zu Jorge und fühlte tiefe Zufriedenheit. Die Zukunft war zwar nicht so sicher, wie sie in Deutschland mit seinem alten Job gewesen wäre, doch das hier war es wert, mit diesem Risiko zu leben. Er war glücklich, Jorge war es auch, das war alles, was zählte.
ENDE
Der Unfall 4
Nichts ahnend lenke ich mein schickes Cabrio rückwärts aus der Ausfahrt. Einer dieser kackbraunen Wagen hält mich auf, indem er
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