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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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Woher? Geistesgegenwärtig fragte Ellen zurück: »Und wie heißen Sie?«
    Gelächter drang aus den Lautsprechern, wie Ellen es aus amerikanischen Comedy-Sendungen kannte. Eine eingespielte Konserve.
    »Dafür ist es noch zu früh. Diese Information müssen Sie sich verdienen. Einen ersten Schritt dahin können Sie gleich tun. Achten Sie auf den Monitor.«
    Auf dem Bildschirm, der das eingehende Signal aufnahm, erschien ein Doppeldecker-Bus in der typischen gelben Lackierung der Berliner Verkehrsgesellschaft. Er fuhr die Linie 106, wie auf der Anzeige über der Windschutzscheibe gut zu sehen war. Jetzt stand er geparkt neben anderen Bussen.
    »Was sehen Sie?«, fragte die Stimme.
    »Einen Bus der BVG. Und?«
    »Richtig. Aber dieser Bus hat eine Sonderausstattung.«
    Das Bild zoomte heran und schwenkte zugleich so, dass Ellen unter den Bus sehen konnte. Dort war etwas befestigt. Das Bild zoomte weiter heran. Ein schwarzer Kasten in der Größe einer Zigarrenkiste. Eine LED leuchtete rot wie ein böses Auge. Eine Sprengladung! In der Nähe des Tanks. Man sah es ganz deutlich. Ellen wurde heiß.
    »Was soll das? Was wollen Sie?«, stieß sie hervor.
    »Nicht so ungeduldig. Sie werden gleich verstehen. Sehen wir uns gemeinsam das Bild einer Überwachungskamera an, die zufällig auf der Route des Busses installiert ist.«
    Das Bild wechselte. Da war wieder der Bus. Gerade hielt er an einer Haltestelle. Durch die Fenster konnte man sehen, dass der Bus voll besetzt war. Im Mittelgang und auf der oberen Ebene drängten sich Schulkinder auf dem Weg nach Hause.
    Auf Ellens Stirn bildeten sich Schweißtropfen. »Das … das können Sie nicht tun. Die vielen Menschen. Die Kinder. Sie sind unschuldig. Sie dürfen ihnen nichts tun.«
    »Ob ihnen etwas geschieht, liegt ganz allein bei Ihnen, Frau Faber.«
    »Bei mir? Warum bei mir? Was wollen Sie?«
    »Die Frage nach dem Warum verschwendet nur Zeit, und davon haben Sie nicht viel. Sie haben exakt dreihundert Sekunden, um die Katastrophe zu verhindern. Die Zeit läuft ab jetzt.«
    Auf dem Monitor wurde eine 300 eingeblendet. Ellen starrte auf die Zahlen: 299, 298, 297, 296 …
    Die Stimme schwieg.
    Ellen brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass es sich bei den Zahlen um einen Countdown handelte.
    290.
    Die Stimme schwieg noch immer.
    »Stellen Sie Ihre Forderungen!«
    Nichts. Das passte in keins der üblichen Schemata. Normalerweise warteten Erpresser darauf, ihre Forderungen stellen zu können, sobald man ihnen die Gelegenheit gab.
    Ellen wurde klar, dass nichts mehr kommen würde. Den anderen in der Zentrale ging es genauso. Schlagartig redeten alle durcheinander.
    »Ruhe! Ruhe!«, brüllte Ellen.
    Der Monitor zeigte 270, als Ellen sich endlich durchsetzen konnte. Die Gespräche verstummten. Alle sahen auf die Monitore. Der Bus fuhr von der Haltestelle ab. Einige Kinder waren ausgestiegen. Sie waren der Bombe entkommen.
    »Wo ist der Bus jetzt?« Ellen stürzte zum Stadtplan.
    »Er muss ungefähr hier sein, an der Urania«, sagte Marina Wirtz. Sie war in Berlin aufgewachsen und kannte die Linien der BVG fast alle auswendig.
    250.
    »Welche von unseren Einheiten ist in der Nähe?«
    Das konnte so schnell niemand feststellen.
    »Funken Sie alle Streifenwagen im Umkreis an. Sie sollen zum Nollendorfplatz und den Bus 106 in Richtung Schöneberg anhalten. Die Leute müssen so schnell wie möglich raus.«
    220.
    »Die Zeit ist zu knapp. Das ist unmöglich zu schaffen«, sagte Roger Brand, ein Kollege von Khalid.
    »Halten Sie den Mund!«, fuhr Ellen ihn an. Sie wusste selbst, dass sie so gut wie keine Chance hatten. Aber was sollte sie sonst tun?
    Das Bild einer neuen Überwachungskamera wurde eingeblendet. Wieder eine Haltestelle. Eine ganze Traube von Menschen stand dort und wartete auf den Bus. Jetzt erschien er im Bild.
    180.
    »Wo sind unsere Leute? Ich muss es wissen. Sofort!«
    »Der nächste Wagen braucht drei Minuten bis zu der Haltestelle, sagen sie.«
    »Das dauert zu lange. Sie sollen sich beeilen, um Himmels willen.«
    170.
    »Selbst wenn sie es schaffen. Sie werden die Leute niemals rechtzeitig aus dem Bus kriegen.«
    Marina Wirtz hatte recht. Ellen biss sich auf die Lippen.
    »Welche Alternativen haben wir? Irgendwas, das wir tun können?«
    »Ich weiß nichts«, sagte die Wirtz eine Spur leiser.
    Die erste Kamera zeigte einen Streifenwagen, der die Straße entlangraste – so schnell, wie es in dem regen Verkehr eben ging. Er war erst an der Stelle, an der sie den

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