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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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Ahnung von Männern, wie es scheint.«
    »Ich bin den ganzen Tag mit Männern zusammen.«
    »Na toll. Und wie führst du dich dort auf? Wie der Ober-Kerl.«
    »So ein Blödsinn. Ich bin eine Frau, auch wenn ich ein SEK leite.«
    »Den Männern ist das wohl nicht klar. Die erwarten etwas anderes von einer Frau.«
    »Und was erwarten sie, du Oberkluge mit der reichen Erfahrung?«
    »Männer wollen ein Kätzchen im Bett, vielleicht eine Wildkatze, aber niemals einen Kampfroboter.«
    Dieser Treffer saß. Ellen schwieg und starrte ihr leeres Glas an.
    »Schwesterchen, sei mir nicht böse. Das musste mal raus.« Annika tätschelte Ellens Hand. »Die nächste Runde geht auf mich. Okay?«
    Als die dritte Bloody Mary vor Ellen stand, hatte sie sich wieder gefasst. »Ich wollte eigentlich einen Rat für die Schwierigkeiten in meinem Job von dir und keine Beratung für mein nicht existentes Liebesleben.«
    »Ich dachte, wir könnten beides lösen, wo wir schon mal dabei sind. Aber gut, lösen wir die Probleme in deinem Job zuerst.« Annikas Stimme klang so gelassen, als gehörten Polizeipräsidenten, die leitenden Beamten Kompetenzen entziehen, zu ihrer täglichen Routine. »Du willst also vor Kronen nicht kuschen?«
    »Nein.«
    »Du willst auch nicht kündigen?«
    »Auf keinen Fall. Nein. Ich laufe vor Schwierigkeiten nicht weg.«
    »Dann bleibt nur der Angriff. Du solltest das Ganze offensiv angehen.« Annika lächelte siegessicher, als hätte sie einen Plan.
    »Und wie, bitte schön, soll das funktionieren?«, fragte Ellen.
    »Was du bist jetzt gemacht hast, klappt nicht.«
    »Das weiß ich auch, aber es hilft mir nicht.«
    »Das heißt: Du musst die Waffen wechseln.«
    »Waffen wechseln? Du hast wohl zu viel Tequila getrunken.«
    »Quatsch. Wir sind nur wieder beim Thema von eben. Du kämpfst mit den Waffen eines Mannes gegen einen Haufen Männer. Wie willst du das als Frau gewinnen? Geht nicht. Aber wenn du die Waffen einer Frau anwendest …« Annika pfiff vielsagend durch die Zähne.
    »Kannst du nicht endlich sagen, was du wirklich meinst? Ich verstehe nur Bahnhof.«
    »Schwesterchen, du bist aber schwer von Begriff. Du brauchst echt Hilfe. Aber dafür müssen wir den Standort wechseln. Vorher muss ich mal wohin. Bezahl du doch schon mal.« Sprach's und stöckelte in Richtung Toiletten davon. Unterwegs rief sie der Bedienung noch ein »Wir möchten zahlen« zu. Dass sie die letzte Runde übernehmen wollte, hatte Annika bereits erfolgreich verdrängt.
    Ellen übernahm mit einem innerlichen Schulterzucken die Rechnung. Sie hatte keine Ahnung, was Annika vorhatte. Offenbar hatten die vielen Bloody Marys ihre Denk-Geschwindigkeit deutlich reduziert.
    Auf der Straße schlugen die drei Bloody Marys nochmals zu, sie waren wohl doch zu bloody gewesen. Die Straße bewegte sich leicht hin und her. Ellen folgte Annika widerstandslos auf dem Weg zur S-Bahn.
    Ellen achtete nicht auf die Richtung, in die sie fuhren. Sie schloss die Augen und versuchte, wieder klarer im Kopf zu werden. Aber das ständige Geschüttele im Waggon verstärkte ihren benebelten Zustand eher noch. Sie war froh, als die Fahrt zu Ende war. Nach einem kurzen Gang durch die schwüle Luft standen sie vor einem alten, verlassen wirkenden Fabrikgebäude. In der fortgeschrittenen Abenddämmerung sah es nicht unbedingt vertrauenerweckend aus.
    »Was willst du denn hier?«
    »Shoppen, meine Güte. Du hast keine Ahnung, wie einen das aufbaut. Nachher bist du ein neuer Mensch.«
    »Shoppen? In dieser Ruine? Das ist nicht dein Ernst.«
    »Ach, Ellen, du bist aber so gar nicht up to date. Diese Location ist der totale Hit. Du kannst die ganze Nacht irre Sachen kaufen und triffst dabei noch coole Typen.«
    Ellen wollte heute weder irre Sachen kaufen noch coole Typen kennenlernen. Aber gegen ihre energiegeladene Schwester fehlte ihr die Kraft.
    »Du kaufst wohl immer bei Karstadt, oder?«, fragte Annika.
    »Meistens«, sagte Ellen. In Wahrheit kaufte sie fast alles bei H&M, was dort gerade im Angebot war, aber so genau musste Annika das nicht wissen. Richtig Shoppen war so lange her, dass die Bloody Marys die Erinnerung nicht freigaben.
    Skeptisch folgte Ellen ihrer Schwester durch das große Tor – und betrat eine andere Welt. War die Umgebung draußen trist und öde, herrschte in dem Gemäuer das pralle Leben. Mit einfachen Stellwänden hatten Shops oder einzelne Verkäufer kleine Areale für sich abgetrennt. Die Ware lag und hing in jeder denkbaren Ecke. Überall

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