Zehntausend Augen
Verdächtige, dessen Wohnung wir durchsucht haben. Er wohnt unter Frau Faber.«
»Interessant.«
Ellen erkannte Hassan auf dem Bildschirm kaum wieder. Er trug einen dunklen Anzug und sogar eine Krawatte. Die schwarzen Haare hatte er in einem modischen Styling nach hinten gegelt. Er machte eine richtig gute Figur.
Da hat er sich wie ein Pfau fürs Fernsehen zurechtgemacht. Wenn die nur wüssten, wie er sonst herumläuft. Aber natürlich wussten sie es nicht. Die Berliner, der Direktor und der Polizeipräsident sahen nur einen gut aussehenden, freundlichen jungen Mann.
Dieser junge Mann beschrieb Ellen gerade als eigenwillig und zurückgezogen. »Sie hat keine Freunde. Und wenn man mit ihr reden will, kanzelt sie einen nur ab.«
Stefan sah Ellen aus den Augenwinkeln heraus an. Seine Mundwinkel bewegten sich verdächtig.
»Darüber hinaus hat Frau Faber einen Hang zur Gewalttätigkeit.«
»Gewalttätigkeit?« Eberle tat erstaunt.
Kronen hob eine Augenbraue. Brahe sah fragend zu Ellen hinüber. Die spürte, wie ihr Blut aus dem Kopf wich, als Hassan der Kamera seine Hand präsentierte.
»Sehen Sie hier. Das ist von gestern. Frau Faber hat mir fast die Hand gebrochen.«
Die Kamera zoomte Hassans Hand in Großaufnahme heran. Einige Finger hatten blaue Stellen. Sie waren für jeden ersichtlich angeschwollen. Ellen wünschte sich ein Loch im Boden, in dem sie versinken konnte.
»Sie wollen behaupten, dass die Verletzungen an Ihrer Hand von Kriminalhauptkommissarin Faber herrühren? Von dieser zierlichen Frau, die bei unserer Polizei eine leitende Stellung einnimmt?« Eberle spielte ungläubiges Staunen, und Hassan unterstützte ihn in vollen Zügen.
»Ich könnte es auch nicht glauben, wenn ich es nicht selbst erlebt hätte.« Bei diesen Worten hob Hassan wie zum Schwur seine Hand, was sie nochmals voll zur Geltung brachte. »Lassen Sie sich nicht täuschen. Diese Frau ist eine lebende Waffe.«
»Das reicht!«, donnerte Kronen. »Schalten Sie das ab!«
Brahe brauchte einen Moment, bis er sich in Bewegung setzte und den Fernseher ausschaltete.
»Ist das wahr, Frau Faber?« Kronen sah Ellen an, als wollte er ihr gleich an die Kehle springen.
»Ja, aber …«
»Kein ›aber‹. Haben Sie diesen Mann so zugerichtet?«
»Ja.«
»Unglaublich«, sagte Kronen erst leise und dann noch mal laut. »Unglaublich!« Kronen stapfte durchs Büro zum Fenster. »Wie können Sie so etwas tun? Haben Sie auch nur die geringste Ahnung, was die Presse mit uns veranstalten wird?«
Ellen konnte es sich ausmalen, wagte aber nicht ihre Vermutungen auszusprechen.
»Frau Faber wird sicher ihren Grund gehabt haben.« Es war nett, dass Brahe versuchte, Ellen beizuspringen, aber auch ihn ließ Kronen nicht zu Wort kommen.
»Die Gründe sind mir egal. Die kann sie in ihrem Bericht schreiben. Frau Faber ist untragbar geworden. Ich frage mich schon die ganze Zeit, ob sie die Richtige für diesen Fall ist.«
Stefan hatte Mühe, einen neutralen Gesichtsausdruck zu bewahren. In seinen Mundwinkeln zuckte es wieder.
»Die Presse ist auf Sensationsmeldungen aus und nimmt es mit der Wahrheit nicht immer so genau«, sagte Brahe. »Und niemand weiß, ob dieser Nabil die Wahrheit spricht.«
»Wahrheit oder nicht! Für die Menschen, die uns zu Tausenden anrufen, ist die Wahrheit das, was im Fernsehen kommt. Außerdem hat Frau Faber selbst zugegeben, dass sie dem armen Mann die Hand zerquetscht hat. Sie wird sich dafür verantworten müssen.«
»Ich werde mich verantworten, wenn es nötig ist«, sagte Ellen. »Aber ein armer Mann ist Hassan Nabil nicht. Er zieht eine große Show ab.«
»Show oder nicht, Sie sind untragbar. Wir werden Sie von diesem Fall abziehen.«
»Das können wir nicht«, sagte Brahe.
»Wer sollte uns daran hindern?«
»Der Erpresser.«
»Ich lasse mir doch von einem Erpresser nicht diktieren, wer den Fall bei uns leitet.«
»Wir haben einmal versucht, die Vorstellungen des Erpressers zu durchkreuzen. Die Folgen kennen Sie ja. Wollen Sie die Verantwortung dafür übernehmen?«
Kronen kam vom Fenster zurück zum Tisch marschiert. Natürlich kannte er die Folgen des fehlgeschlagenen Versuchs, die Kameras und die Internetübertragung abzuschalten. Die Sache mit der Verantwortung behagte ihm offensichtlich nicht. Schließlich blieb er vor Direktor Brahe stehen.
»Ich will, dass Sie diesen Fall persönlich übernehmen. Und Sie, Frau Faber«, er wandte sich an Ellen, »werden keine eigenen Entscheidungen mehr
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