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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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drängelten sich vorwiegend junge Menschen. Zwischendrin saßen Gruppen und tranken Kaffee oder Tee. Es war eine Atmosphäre, wie man sie eher auf einem orientalischen Basar erwartet hätte.
    Nach wenigen Metern verlor Ellen die Orientierung. Ihr blieb nichts übrig, als Annika durch das Gewimmel zu folgen. Die wusste offenbar genau, wo sie hinwollte. Zielsicher strebte sie tiefer und tiefer in das weitläufige Gebäude hinein.
    »Da sind wir schon.«
    Endlich! Ellen hatte das Gefühl, mindestens einen Kilometer gelaufen zu sein. Die schwüle Luft wirkte in dem Gebäude durch die vielen Menschen noch drückender. Annika schien das nichts auszumachen.
    »Hier fangen wir an.« Sie zeigte in eine Nische, die vollgestopft war mit Dessous. Bis zum obersten Rand der Stellwände hingen sie dicht an dicht. Kein Teil glich im Entferntesten dem, was Ellen von H&M kannte.
    »Was soll ich damit?«
    »Kaufen, mein Schätzchen. Kaufen!«
    »Und dann wohl auch anziehen?«
    Annika verdrehte die Augen. »Du hast eine Beratung wirklich nötiger als nötig. Hast du dein Bild in den Zeitungen gesehen?«
    »Sicher.«
    »Und hast du dir gefallen?«
    »Na ja«, druckste Ellen herum. »Nicht so ganz. Es war ein Sport-BH, und der ist nun mal nicht schick.«
    »Sport-BH? Ich dachte, das wäre eine kugelsichere Weste aus dem letzten Krieg. Damit geht man doch nicht unter Menschen.«
    Ellen sah Annika zweifelnd an.
    Annika lachte. »Du hast echt nur Ahnung von Maschinenpistolen. Meine Güte. Am besten setzt du dich in eine Ecke, trinkst einen Tee und lässt mich machen.«
    »Gute Idee.«
    Der stressige Tag, die vielen Bloody Marys und die schwüle Luft hatten Ellen geschafft. Ehe sie es sich versah, verschwand Annika zwischen den Dessous-Massen. Ellen bestellte sich einen aromatisierten Tee »Andalusia« und genoss das Sitzen. Ein zweiter Tee folgte. Nach zwanzig Minuten kam Annika zurück, in der einen Hand ein dickes Bündel winziger Slips in allen Farbtönen, in der anderen Hand ein dickeres Bündel ebenso farbiger BHs.
    »Komm mit«, sagte Annika.
    Im hinteren Teil des Dessous-Ladens gab es drei Umkleidekabinen. Eigentlich waren es nur durch Zwischenwände abgeteilte Würfel, die nach oben offen waren. Annika warf den ganzen Stapel Dessous in eine Kabine.
    »So, und jetzt anprobieren.«
    »Alles?« Ellen war todmüde. Im Gegensatz zu Annika baute Shoppen sie anscheinend doch nicht auf.
    »Wegen einem einzigen Teil treiben wir nicht so einen Aufwand. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass du mehr brauchst.«
    Da hatte Annika recht. Ellen begann in dem Stapel zu wühlen. Die meisten Slips bestanden nur aus Bändern mit einem kleinen Dreieck, die manchmal sogar noch halb transparent waren. »Dieses verrückte Zeug? Bei manchen weiß man ja nicht mal, wo man reinsteigen soll.«
    »Wenn ich von ›Waffen der Frau‹ gesprochen habe, habe ich keinen Sport-BH gemeint«, sagte Annika. »Nun mach schon. Ich will wissen, wie es dir steht.« Sie fischte ein schwarzes Teil aus dem Stapel und hielt es Ellen hin. »Das hat sogar einen Magnetverschluss an der Seite. Du glaubst nicht, wie erotisch man das ausziehen kann.«
    Ellen nahm es und probierte es an.
    »Passt super.«
    Ellen drehte sich vor dem Spiegel. Wegen des kaum vorhandenen Stoffs wirkten ihre Beine länger. Durch das intensive sportliche Training besaßen sie eine perfekte Form, die jetzt richtig zur Geltung kam. Der dazugehörige BH pushte ihre Brust, sodass sie deutlich größer wirkte. »Wenn dieser alte Sack von Kronen mich so sehen würde, würde ihm die Kinnlade auf die Füße krachen.«
    »Genauso muss es sein. Das nehmen wir«, sagte Annika. »Und den alten Müll entsorgen wir gleich hier. Damit du nicht auf dumme Gedanken kommst.«
    Bevor Ellen verstand, was Annika meinte, hatte die schon Ellens alten Slip und BH gegriffen und warf sie in hohem Bogen über die Trennwand. Sie landeten irgendwo im Gewühl der Menschen, die sich in den anderen Nischen umschauten.
    »Was tust du denn da? Das kannst du doch nicht tun!« Ellen starrte ihrer alten Wäsche hinterher.
    Annika lachte. »Klar kann ich das. Hast du doch gesehen.«
    »Die finden wir nicht mehr wieder.«
    »Die wollen wir auch nicht wiederfinden.«
    »Und jetzt?«
    »Jetzt probierst du weiter an oder nimmst einfach alles. Die Verkäuferin ist eine gute Bekannte von mir. Wenn ich ihr verspreche, dass du ein Dutzend nimmst, kriegen wir zehn Prozent Rabatt und können sogar alles zur Ansicht mit nach Hause nehmen.«
    Ellen

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