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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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kapitulierte. Vor so viel Energie musste sie passen. »Aber nur unter einer Bedingung«, sagte sie noch.
    »Die wäre?«
    »Mit Shopping ist heute Schluss. Ich kann echt nicht mehr.«
    »Du brauchst aber noch viele Sachen.«
    »Ein andermal.« Zudem hatte sie Sorge, dass Annika womöglich auch den Rest ihrer Kleidung auf die spezielle Weise entsorgte und sie am Ende nur noch mit verrückten Teilen dastand.
    »Na gut. Es soll ja keine Qual sein«, sagte Annika.
    Ellen war dankbar, das nahe Ende dieses Einkaufserlebnisses vor sich zu haben. Mit zwei Einkaufstüten, voll bestückt mit den »Waffen der Frauen«, verließ sie mit ihrer Schwester die Fabrik.

17
     
    Ellens Briefkasten war leer, ein wunderbares Gefühl. Außer Rechnungen und Werbung bekam sie sowieso keine Post. Hassans Briefkasten war ebenfalls leer. Aller Wahrscheinlichkeit nach war er zu Hause, auch wenn man es nicht knallen und krachen hörte.
    Vielleicht pflegte er seine Hand, oder noch besser: Er erstickte gerade an seiner Shisha.
    Die Treppe hochzusteigen, war heute Abend richtig anstrengend. Bloody Marys machten die Beine schwerer als Rotwein. Das Treppenhaus war funzelig beleuchtet. Nur jede zweite Birne brannte. Entweder war der Hausmeister besonders sparsam oder einfach nur faul. Müde trottete Ellen um den letzten Absatz herum und stockte. Saß da jemand vor ihrer Tür? Tatsächlich, dort hockte eine dunkle Gestalt.
    Von einer Sekunde auf die andere waren die Müdigkeit und alle Bloody Marys wie weggewischt. Ellen war voll da, bereit blitzschnell zu reagieren. Sie wusste genau, wo die Stufen knarzten, und vermied diese Stellen. Geräuschlos wie eine Katze schlich sie an die Gestalt heran. Es war ein Mann in einem dunklen Anzug. Er schlief im Sitzen. Das war eigenartig. Männer in dunklen Anzügen schliefen für gewöhnlich nicht auf Treppen in alten Häusern. Ellen ging in die Hocke und betrachtete den Mann aus der Nähe. Sie kannte ihn nicht. Er hatte ein gepflegtes Gesicht und akkurat geschnittene Haare. Der Aktenkoffer, auf den er sich stützte, ließ Ellen eher an einen Vertreter denken als an einen Pressefritzen. Aber Vertreter schliefen auch nicht in Treppenhäusern.
    Ellen verwarf den Gedanken, sich an dem Mann vorbei in ihre Wohnung zu schleichen. Sie musste herausfinden, was er vor ihrer Tür wollte, denn er saß mit Sicherheit nicht zufällig hier.
    Vorsichtig stieß sie den Mann mit dem Fuß an. Man konnte nie wissen – auch nicht bei Krawattenträgern. Der Mann brummte nur etwas Unverständliches. Sie schüttelte ihn fester. »Was wollen Sie hier?«
    Der Mann blinzelte und zuckte erschrocken zusammen. Dann sprang er so hastig auf, als ob ihn etwas gestochen hätte.
    »Was wollen Sie hier?«, fragte Ellen noch einmal.
    »Ich … äh … Entschuldigung, ich … muss wohl eingeschlafen sein.«
    »Das beantwortet nicht meine Frage.« Ellen wollte ins Bett und hatte wenig Lust auf den Austausch von Höflichkeiten.
    »Sind Sie Ellen Faber?«
    »Das beantwortet meine Frage immer noch nicht. Was wollen Sie hier?« Der Mann hatte Anlass, sich zu erklären, und nicht sie.
    »Oh, ja, natürlich. Entschuldigen Sie, ich heiße Hermann Becker und bin von der Firma Intelko.« Er hielt Ellen die Hand hin. »Ich möchte mit Ihnen über Ihre Internetprobleme sprechen, die Sie bei der Polizei haben. Wir können sie lösen.«
    Jetzt dämmerte Ellen, wen sie vor sich hatte. Sofort verspürte sie überhaupt keine Lust mehr, die ausgestreckte Hand zu ergreifen. »Sind Sie der Typ, der schon ein paarmal versucht hat, mich anzurufen?«
    Ellens Stimme war eisig, aber Becker ließ sich nicht einschüchtern. »Ja, wir haben heute schon mal kurz miteinander gesprochen, da hatten Sie keine Zeit.«
    »Das letzte Mal haben Sie mich in einer Besprechung mit dem Polizeipräsidenten gestört.«
    »Das tut mir leid, aber …«
    »Ich habe kein Interesse an Ihrer Dienstleistung. Außerdem bin ich überhaupt nicht der richtige Ansprechpartner. Wenden Sie sich an den Polizeipräsidenten. Und jetzt gehen Sie und lassen mich in Ruhe.«
    »Aber …«
    »Verschwinden Sie! Oder muss ich noch deutlicher werden?« Ellen konnte sehr selbstbewusst auftreten. Ohne diese Fähigkeit hätte sie im SEK nicht lange überlebt, geschweige denn Karriere gemacht.
    Becker griff zögerlich nach seinem Aktenkoffer. »Wir hatten doch eine Verabredung«, sagte er leise.
    Ellen wandte sich zu ihm um. »Ich habe mich niemals mit Ihnen verabredet.«
    »Sie haben mir eine SMS geschrieben, sonst

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