Zehntausend Augen
Mitteln rekonstruieren. Die entsprechenden Stellen der Festplatte sind gelöscht worden, mit Datenmüll überschrieben, wieder gelöscht, wieder überschrieben, wieder gelöscht – so lange, bis eine Rekonstruktion absolut unmöglich ist. Das ist eindeutig das Werk eines Profis.«
Ellen konnte nicht glauben, was Stefan gerade gesagt hatte. Hatte er das alles arrangiert, um an ihre Stelle zu kommen? Als späte Rache dafür, dass sie mit ihm Schluss gemacht hatte? Es fiel ihr schwer, ihm so viel Niedertracht zuzutrauen. Andererseits, wenn er vor Kronen sagte, dass der Laptop professionell gelöscht worden war, musste es stimmen.
»Wollen Sie jetzt nicht gestehen, liebe Frau Faber?«
»Nein. Ich habe nichts zu gestehen. Ich habe keine Ahnung, was mit meinen Daten passiert ist.«
Kronen holte tief Luft. »Frau Faber, wie lange wollen Sie dieses Spiel noch mit uns spielen?« Er wandte sich an Stefan. »Herr Daudert, gibt es Anzeichen von Fremdeinwirkung auf dem Rechner?«
»Eindeutig nein«, kam Stefans Antwort wie aus der Pistole geschossen. »Es gibt weder Hinweise, dass das Passwort unrechtmäßig geknackt worden ist, noch Spuren eines Trojaners oder Ähnliches.«
»Frau Faber, nun hören Sie endlich auf, uns für dumm zu verkaufen. Wer sollte ein Interesse haben, Daten von Ihrem Laptop zu löschen, wenn nicht Sie selbst? Wie sollte jemand überhaupt an den Laptop kommen, außer Sie selbst? Wer löscht Daten auf diese spezielle Weise, wenn es sich nicht um heikle Informationen handelt? Unser Erpresser besitzt umfassende Computerkenntnisse. Kenntnisse, die man benötigt, um genau das zu tun, was Sie mit Ihrem Rechner getan haben. Geben Sie endlich zu, dass Sie mit diesem Kerl unter einer Decke stecken. Sie wissen, dass wir das früher oder später eindeutig beweisen werden.«
»Ich weiß nur, dass hier jede Menge Indizien präsentiert werden, die gegen mich sprechen, mit denen ich aber nichts zu tun habe. Ich habe keine Ahnung, was hier für ein Spiel gespielt wird, aber das werde ich noch herausfinden. Deshalb verlange ich jetzt einen Anwalt.«
Kronen stand auf. »Morgen können Sie Ihren Anwalt sprechen, wenn wir weitermachen. Frau Faber, Sie sind vorläufig festgenommen.«
Auf einen Wink von Kronen kamen die beiden Beamten vom Gang in den Vernehmungsraum und stellten sich rechts und links von Ellen auf.
»Bitte begleiten Sie Frau Faber in eine Zelle.«
33
Direktor Brahe verfolgte die ganze Vernehmung durch die halb transparente Scheibe. Eingreifen durfte er nicht. Der Polizeipräsident hatte ihn auf eine reine Beobachterposition verbannt. Er wusste, dass Brahe hinter Ellen stand und ihr vertraute. Ob Kronen vermutete, dass Brahe selbst in diese Sache verwickelt war oder Ellen zumindest deckte, das wusste er nicht. Auf jeden Fall war Kronen so weit gegangen, wie noch kein Polizeipräsident vor ihm. Brahe konnte sich nicht erinnern, dass ein Polizeipräsident jemals den Direktor des LKA beiseitegeschoben und selbst die Leitung von Ermittlungen übernommen hätte. Er konnte sich aber auch an keinen so verworrenen Fall wie diesen erinnern.
Als er hörte, mit welchen Indizien Ellen konfrontiert wurde, musste er sich setzen. Hatte er sich so in Ellen Faber getäuscht? Das wäre das erste Mal in seinem Leben. Vielleicht war er doch zu alt für diesen Job. Vielleicht hatte er keinen Blick mehr für seine Leute? War ihm die Menschenkenntnis verloren gegangen?
Brahe zweifelte nicht an den Untersuchungsergebnissen. Auf die KTU konnte man sich verlassen und ganz besonders auf Sina Ahuus. Sie gehörte zu den Besten. Wenn sie ein Ergebnis präsentierte, hatte es Hand und Fuß. Und weil es um Ellen ging, hatte sie sich mit Sicherheit besondere Mühe gegeben und alles doppelt kontrolliert. Vom Kopf her musste Brahe Kronen und seinen Schlussfolgerungen zustimmen, aber sein Gefühl wollte seinem Verstand nicht folgen. Außerdem konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass Ellen solche Verbrechen aus Geltungssucht begehen würde. Das passte überhaupt nicht zu ihr.
Brahe war erleichtert, dass Kronen Ellen keine Handschellen anlegen ließ. Die Verhaftung war Demütigung genug. Eilig verließ Brahe den Beobachterraum. Er wollte unbedingt weg sein, wenn Kronen hereinkam. Automatisch ging er zuerst in Richtung Ausgang. Er war müde und ausgebrannt, jede Faser seines Körpers wollte nach Hause. Die letzten Nächte waren kurz gewesen. Geschlafen hatte er nur sporadisch. Früher hätte er so etwas ausgehalten,
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