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Zehntausend Augen

Zehntausend Augen

Titel: Zehntausend Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Seibel
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flehentlichen Blick zu. »Finden Sie etwas!«
    Ellen saß auf einer Pritsche in einer kahlen Zelle. Sie wusste nicht, ob sich jemand um ihr Schicksal kümmerte. Kronen hatte jeglichen Kontakt zu anderen Personen ausdrücklich verboten. Er rechnete mit einem Helfer und wollte absolut sichergehen.
    In Gedanken ging Ellen jeden ihrer Schritte minutiös durch. Sie analysierte und wendete jedes Wort und jede Tat hin und her. Tausend Mal. Sie fand keinen Ansatzpunkt. Es war zum Verrücktwerden. Am schwersten fiel ihr, dass sie zur Untätigkeit verdammt war. Sie musste sich darauf verlassen, dass andere die Vorwürfe gegen sie entkräfteten. Oder der Erpresser würde sie rehabilitieren, indem er ungehindert weitermachte. Würde er weitermachen? Bisher hatte er darauf bestanden, mit ihr, und nur mit ihr, zu verhandeln. Was würde geschehen, wenn Kronen dieses Anliegen verweigerte? Würde es einen neuen Anschlag geben? Mit Opfern? Wie würde Kronen reagieren, wenn der Erpresser den Druck erhöhte? Kronen würde davon ausgehen, dass der Erpresser Ellen auf diese Weise freipressen wollte. Und das Verhalten des Erpressers als weiteren Beweis für ihre Schuld sehen.

34
     
    An diesem Morgen wurde Berlin wieder zu einer geteilten Stadt. Die Trennungslinie verlief zwischen den Zeitungslesern, die von der Verhaftung einer Verdächtigen gelesen hatten, und denen, die Radio hörten oder Fernsehen sahen und mehr wussten. Die Zeitungsleser waren entrüstet bis erleichtert, die anderen verwundert bis entsetzt.
    Polizeipräsident Kronen gehörte vorerst noch zur ersten Gruppe. So früh wie heute hatte Kronen das LKA schon lange nicht mehr betreten. Gewöhnlich arbeitete er in seinem Büro am Platz der Luftbrücke und kam hauptsächlich bei besonderen Anlässen oder gelegentlichen Meetings. Wegen der besonderen Öffentlichkeit dieses außergewöhnlichen Falls hatte er die Fäden selbst in die Hand genommen – und konnte nach kürzester Zeit schon erste Erfolge verbuchen. Er war Politprofi genug, um so etwas nicht anbrennen zu lassen. Deshalb hatte er alles darangesetzt, gestern Abend noch eine Pressekonferenz zu organisieren. Darin hatte er persönlich verkündet, dass die Polizei eine Hauptverdächtige aus ihren eigenen Reihen in Gewahrsam genommen hatte. Weil er mit weiteren Helfern rechnete, hatte er keine Namen genannt. Heute Morgen wollte er die Früchte ernten. Das war ein zusätzlicher Grund, um so früh zu erscheinen.
    Kronen ging geradewegs in Ellen Fabers Büro, das er kurzerhand für sich in Beschlag genommen hatte. Er wollte nah am Geschehen dran sein, zumal die Kommunikation mit dem Erpresser vom LKA aus erfolgen musste. Kronen war fest davon überzeugt, dass Ellen Faber dieses Büro nie wieder betreten würde. Da er sowieso schon in den Schränken und im Schreibtisch herumgestöbert hatte, kannte er sich einigermaßen aus. Fünf Minuten nach Kronen kam der Bote der Pressestelle mit den Zeitungen des heutigen Tages.
    Voller Erwartung faltete Kronen die Titelseite auf – und hätte die Zeitung am liebsten sofort zerrissen. Schon wieder diese Frau. Es war zum Verrücktwerden. Bei den anderen Zeitungen war es das Gleiche. Er hatte fest damit gerechnet, ein Foto von sich auf den Titelseiten zu finden. Als er gestern auf der Pressekonferenz den Fahndungserfolg verkündete, waren die Kameras fast heiß gelaufen. Er hatte ganz bewusst keinen anderen Namen als seinen genannt. Fragen nach Hauptkommissarin Ellen Faber hatte er professionell abgeblockt. Niemand konnte überhaupt etwas von ihr wissen. Ihre offizielle Festnahme war nur einem kleinen Kreis bekannt, alle anderen wussten nur von einer Verhaftung, kannten aber keinen Namen – und jetzt prangten auf den Zeitungen Überschriften wie: »Bedroht diese Frau Berlin?« Darunter ein großes Foto von der Faber in ihrem sexy BH, ein Blickfang erster Güte. Und wo blieb er selbst und sein Verdienst? In einer Zeitung fand er sogar ein kleines Foto von Stefan Daudert, der als potenzieller Nachfolger von Ellen Faber gehandelt wurde. In diesem Zusammenhang berichtete ein gewisser Eberle sogar von der Wohnungsdurchsuchung. Woher wusste der das alles?
    Kronen überflog die Artikel. Sein Name wurde immerhin erwähnt. Es wurde berichtet, wie er nach der Zeit der Stagnation erste Erfolge verkündete. Da standen seine Worte: »Ein oder mehrere Helfer werden noch gesucht, deshalb darf ich noch keine Namen nennen. Aber wir sind überzeugt, den Drahtzieher gefasst zu haben. Deshalb können unsere

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