Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Befriedigung dieses Begehrens. Es war, als ob a) ich mich nach einem bestimmten (bisher ungeschmeckten) Geschmack sehnte, bis b) diese Sehnsucht nahezu unerträglich wurde, und als ob ich dann c) einen Bissen mit genau diesem Geschmack bereits in meinem Mund vorfand, was mein Begehren vollkommen befriedigte.
Jede Äußerung, jede Anpassung der Körperhaltung zeugte von derselben Tatsache: Wir kannten uns schon seit Ewigkeiten, waren Seelenverwandte, waren uns in zahlreichen früheren Leben begegnet und hatten uns geliebt und würden uns in vielen zukünftigen Leben wiederbegegnen und lieben, immer mit denselben transzendierend verblüffenden Ergebnissen.
Dann kam es zu einem schwer greifbaren, aber sehr realen Abdriften in Traumsequenzen, die sich am besten als eine Art nicht-narrativer mentaler Landschaften beschreiben lassen, mit anderen Worten, eine Reihe undeutlicher Bilder vor dem geistigen Auge, Orte, an denen ich nie gewesen war (ein Tal, dicht bestanden mit Kiefern, in einem hohen weißen Gebirge; eine Art Chalet in einer Sackgasse, dessen Garten von tolkienhaften Bäumen überwuchert war) und die allesamt tiefe Nostalgie auslösten, Sehnsüchte, die sich bald zu einer zentralen Sehnsucht verbanden und verdichteten, nämlich dem intensiven Begehren nach dieser Frau, Heather, und niemand sonst.
Dieses Phänomen der Landschaften vorm geistigen Auge war am stärksten bei unserer dritten (!) Runde. (Offenkundig hatte Abnesti meiner Infusion auch noch etwas Vivistei f ™ beigefügt.)
Danach strömten unsere Liebesbeteuerungen simultan, sprachlich komplex und metaphernreich hervor: Ich möchte geradezu behaupten, wir waren Dichter geworden. Wir durften mit verschlungenen Gliedern fast eine Stunde liegen bleiben. Das war Seligkeit. Das war Vollkommenheit. Das war das Unmögliche: ein Glück, das nicht dahinwelkt, damit die zarten Triebe irgendeines neuen Begehrens aufkeimen können.
Wir kuschelten mit einer Begierde/Beharrlichkeit, die mit der Begierde/Beharrlichkeit unserer vorherigen Bumserei wetteiferte. Dem Kuscheln fehlte im Vergleich zum Bumsen nichts, will ich damit sagen. Wir wälzten uns herum wie liebevoll spielerische Welpen, oder wie Eheleute, die sich zum ersten Mal wiedersehen, nachdem einer von ihnen dem Tod ins Auge geblickt hat. Alles erschien feucht, durchlässig, sagbar .
Dann flaute irgendwas in der Infusion ab. Ich denke, Abnesti hatte das Verbaluce ™ rausgenommen? Und vielleicht auch den Schamreduzierer? Im Grunde schrumpelte alles allmählich ein. Plötzlich wurden wir scheu. Aber immer noch liebevoll. Wir versuchten, post-Verbaluce ™ zu reden: immer ein unbeholfener Vorgang.
Aber ich konnte in ihren Augen lesen, dass sie immer noch Liebe für mich empfand.
Und ich empfand definitiv immer noch Liebe für sie.
Und warum auch nicht? Wir hatten gerade dreimal miteinander gebumst! Warum heißt es wohl »Liebe machen«? Das hatten wir gerade dreimal gemacht: Liebe.
Dann sagte Abnesti: »Infusion läuft?«
Wir hatten sogar fast vergessen, dass er immer noch hinter seinem Polizeispiegel saß.
Ich sagte: »Müssen wir? Es gefällt uns doch gerade so gut.«
»Wir wollen bloß versuchen, euch wieder auf den Boden zu holen, Leute«, sagte er. »Wir haben heute noch mehr zu erledigen.«
»Scheiße«, sagte ich.
»Mist«, sagte sie.
»Infusion läuft?«, sagte er.
»Roger«, sagten wir.
Schon bald veränderte sich etwas. Ich meine, sie war okay. Ein gutaussehendes blasses Mädchen. Aber nichts Besonderes. Und ich konnte sehen, dass sie dasselbe von mir fand, von wegen: Was sollte das Riesentheater denn eben?
Warum hatten wir nichts an? Wir zogen uns superschnell wieder an.
Irgendwie peinlich.
Liebte ich sie? Liebte sie mich?
Ha.
Nein.
Dann war es Zeit für sie zu gehen. Wir schüttelten uns die Hände.
Dann ging sie raus.
Das Mittagessen kam rein. Auf einem Tablett. Spaghetti mit Hühnchenstücken.
Mann, hatte ich einen Hunger.
Beim Mittagessen dachte ich die ganze Zeit nach. Es war merkwürdig. Ich erinnerte mich daran, Heather gebumst zu haben, erinnerte mich an die Gefühle für sie und an die Dinge, die ich zu ihr gesagt hatte. Ich hatte quasi einen rauen Hals, so viel hatte ich gesagt und so schnell hatte ich es unbedingt loswerden müssen. Aber die Gefühle selbst? Nada , so gut wie.
Nur heiße Wangen und etwas Scham, von wegen dreimal vor Abnesti gebumst.
III
Nach dem Mittagessen kam ein anderes Mädchen rein.
Ungefähr gleichermaßen so lala. Dunkle Haare.
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