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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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Durchschnittliche Figur. Nichts Besonderes, genau wie Heather, die beim Reinkommen erst mal auch nichts Besonderes gehabt hatte.
    »Das ist Rachel«, sagte Abnesti über Lautsprecher. »Das ist Jeff.«
    »Hi, Rachel«, sagte ich.
    »Hi, Jeff«, sagte sie.
    »Infusion läuft?«, sagte Abnesti.
    Wir rogerten.
    Das Gefühl, das ich schon bald empfand, hatte etwas überaus Vertrautes. Plötzlich sah Rachel supergut aus. Abnesti fragte unser Einverständnis ab, für das Boosten unserer Sprachzentren mittels Verbaluce ™ . Wir rogerten. Und bald fickten auch wir wie die Kaninchen. Bald sprachen auch wir wie sprachgewandte Irre über unsere Liebe. Und wieder entstanden bestimmte Empfindungen, um meinen gleichzeitig entstehenden verzweifelten Hunger nach genau diesen Empfindungen zu stillen. Bald wurde meine Erinnerung an den perfekten Geschmack von Heathers Mund überschrieben durch die Gegenwart des Geschmacks von Rachels Mund: so viel eindeutiger der Geschmack, den ich jetzt begehrte. Ich fühlte nie dagewesene Emotionen, obgleich diese nie dagewesenen Emotionen (das erkannte ich irgendwo in meinem Bewusstsein) exakt dieselben Emotionen waren, die ich zuvor gefühlt hatte, für jene inzwischen unwürdig erscheinende Hülle Heather. Ich will damit sagen, Rachel war’s. Ihre schmale Taille, ihre Stimme, ihr Mund/ihre Hände/ihre Lenden, allesamt hungrig – sie waren’s.
    Ich liebte Rachel so sehr.
    Dann kamen die geographischen Traumsequenzen (siehe oben): dasselbe Tal voller Kiefern, dasselbe chaletartige Haus, begleitet von derselben Sehnsucht-nach-Orten, die sich in eine Sehnsucht nach (diesmal) Rachel verwandelte. Während wir weiterhin einen Pegel sexueller Energie hielten, der ein, ich will es mal so beschreiben, immer enger werdendes Gummiband der Süße um unsere Brustgegend spannte, wodurch wir sowohl verbunden als auch vorwärtsgetrieben wurden, flüsterten wir fiebrig (präzise, poetisch), wie lange wir uns schon zu kennen meinten, mit anderen Worten, seit Ewigkeiten.
    Wieder belief sich die Anzahl unserer Liebesakte auf drei.
    Dann kam, wie zuvor, das Schrumpeln. Wir redeten nicht mehr so erstklassig. Weniger Worte, kürzere Sätze. Aber ich liebte sie immer noch. Liebte Rachel. Alles an ihr schien einfach perfekt zu sein: das Muttermal auf ihrer Wange, ihr schwarzes Haar, der kleine Powackler, den sie ab und zu machte, als wollte sie sagen: Mmmm, war das gut.
    »Infusion läuft?«, fragte Abnesti. »Wir versuchen jetzt, euch wieder auf den Boden zu holen.«
    »Roger«, sagte sie.
    »Äh, Moment mal«, sagte ich.
    »Jeff«, sagte Abnesti verärgert, als wollte er mich daran erinnern, dass ich nicht aus freiem Willen hier war, sondern weil ich ein Verbrechen begangen hatte, für das ich meine Zeit absitzen musste.
    »Roger«, sagte ich. Und schenkte Rachel einen letzten Blick voller Liebe, ich wusste ja (anders als sie), dass das der letzte Blick voller Liebe sein würde, den ich ihr schenkte.
    Bald kam sie mir nur noch okay vor, wie ich ihr. Sie schaute, wie Heather, peinlich berührt drein, so: Was war denn das grad eben? Warum bin ich bloß mit diesem Otto Normalverbraucher hier so durch die Decke gegangen?
    Liebte ich sie? Oder sie mich?
    Nein.
    Als es Zeit für sie war zu gehen, schüttelten wir uns die Hände.
    Am unteren Rücken, wo sie meinen MobiPak™ operativ befestigt hatten, war ich wund von den vielen Stellungswechseln. Plus endlos müde. Plus total traurig. Warum traurig? War ich nicht ein Macker? Hatte ich nicht gerade zwei verschiedene Mädchen gebumst, insgesamt sechsmal, an einem Tag?
    Und doch war ich, ehrlich gesagt, so traurig wie noch nie.
    Wahrscheinlich machte mich traurig, dass die Liebe nicht echt war? Oder jedenfalls nicht besonders echt? Wahrscheinlich machte mich traurig, dass sich die Liebe so echt anfühlen und eine Minute später weg sein konnte, und nur, weil Abnesti irgendwas machte.
    IV
    Nach der Zwischenmahlzeit rief mich Abnesti ins Kommando. Das Kommando ähnelt dem Kopf einer Spinne. Deren diverse Beine unsere Arbeitsräume sind. Manchmal mussten wir Abnesti im Kopf der Spinne zuarbeiten. Oder, wie wir es nannten: im Spinnenkopf.
    »Hinsetzen«, sagte er. »Schauen Sie in den Großen Arbeitsraum 1.«
    Im Großen Arbeitsraum 1 saßen Heather und Rachel nebeneinander.
    »Erkennen Sie sie?«, fragte er.
    »Ha«, sagte ich.
    »So«, sagte Abnesti. »Jetzt werde ich Sie vor eine Entscheidung stellen, Jeff. Folgendes ist unser Spiel. Sehen Sie diese Fernbedienung? Sagen wir

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