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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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rief: »Bo, gleich zurück!«, und lief, den Mais mit ihrem Nichtwelpen-Arm aus dem Weg wischend, so lange, bis nur noch Mais und Himmel zu sehen waren.
    Er war so klein, dass er sich nicht rührte, als sie ihn absetzte, er schnüffelte nur ein bisschen und kippte zur Seite.
    Ach, was machte das schon für einen Unterschied, in einer Tüte ersäuft oder in einem Maisfeld verhungert? Auf diese Weise musste es Jimmy wenigstens nicht machen. Er hatte genug Sorgen. Der Junge, den sie einst kennengelernt hatte, mit hüftlangen Haaren, war heute ein alter, sorgenverschrumpelter Mann. Was das Geld betraf, sie hatte sechzig beiseitegelegt. Sie würde ihm zwanzig davon geben und sagen: »Die Leute, die den Welpen gekauft haben, waren supernett.«
    Nicht zurückschauen, nicht zurückschauen , sagte sie sich, während sie durch den Mais davonrannte.
    Dann marschierte sie die Teallback Road entlang wie eine Walkerin, wie eine Dame, die jeden Abend hier Walking machte, um schlank zu werden, nur dass sie selber, das wusste sie, alles andere als schlank war, und genauso wusste sie, dass man Walking nicht in Jeans und offen stehenden Wanderstiefeln machte. Haha! Sie war ja nicht blöd. Sie traf nur schlechte Entscheidungen. Einmal hatte Schwester Lynette gesagt, das wusste sie noch: »Callie, du bist schon klug, aber du neigst zu Dingen, die dir nicht guttun.« Tja, Schwester, da haben Sie wohl recht , sagte sie im Geiste zu der Nonne. Aber Scheiß drauf. Schwamm drüber. Sobald die Dinge in puncto Geld erst mal besser standen, würde sie sich ein Paar anständige Turnschuhe besorgen und mit dem Walking anfangen und schlank werden. Und auf die Abendschule gehen. Schlanker. Vielleicht auf MTA hin. Richtig schlank würde sie nie werden. Aber Jimmy mochte sie so, wie sie war. Und sie mochte ihn so, wie er war. Vielleicht war das Liebe: wenn man jemanden so mochte, wie er war, und ihm half, noch besser zu werden.
    So wie sie im Augenblick Jimmy half, indem sie ihm das Leben leichter machte, indem sie etwas tötete, damit er – nein. Sie tat nur eins, Walking, und zwar weg von –
    Was hatte sie gerade gedacht? Das war gut gewesen. Liebe ist, wenn man jemanden so mag, wie er ist, und ihm hilft, noch besser zu werden.
    Bo zum Beispiel, der war nicht perfekt, aber sie liebte ihn, wie er war, und versuchte ihm zu helfen, noch besser zu werden. Wenn sie es schafften, ihm Sicherheit zu geben, würde er vielleicht etwas ruhiger werden mit den Jahren. Wenn er ruhiger würde, könnte er vielleicht eines Tages eine Familie gründen. Ja, jetzt saß er da im Garten, ganz ruhig, und guckte die Blumen an. Klopfte mit seinem Baseballschläger vor sich hin, ziemlich glücklich. Er sah hoch, winkte ihr mit dem Schläger zu, schenkte ihr das besondere Lächeln. Gestern hatte er noch todunglücklich im Haus festgesessen. Als der Tag vorbei war, hatte er vor lauter Frust im Bett geschrien. Und heute guckte er sich Blumen an. Wer war auf diese Idee gekommen, die Idee, die aus heute einen besseren Tag gemacht hatte als gestern? Wer liebte ihn genug, um darauf zu kommen? Wer liebte ihn mehr als irgendwer sonst auf der Welt?
    Sie.
    Sie war das.

FLUCHT AUS DEM SPINNENKOPF
    I
    »Infusion läuft?«, sagte Abnesti über Lautsprecher.
    »Was ist drin?«, fragte ich.
    »Selten so gelacht«, sagte er.
    »Roger«, sagte ich.
    Abnesti betätigte seine Fernbedienung. Mein MobiPak ™ surrte. Schon bald sah der Innere Garten echt hübsch aus. Alles wirkte gestochen scharf.
    Ich sagte laut, was ich fühlte, so wie ich es sollte.
    »Garten sieht hübsch aus«, sagte ich. »Gestochen scharf.«
    Abnesti sagte: »Jeff, wie wär’s, wir boosten die Sprachzentren mal?«
    »Klar«, sagte ich.
    »Infusion läuft?«, sagte er.
    »Roger«, sagte ich.
    Er fügte der Infusion etwas Verbaluce ™ bei, und schon bald fühlte ich dasselbe, formulierte es aber besser. Der Garten sah immer noch hübsch aus. Es war so, als wären die Büsche total dicht und die Sonne würde alles hervorheben? Es war, als würden jeden Augenblick irgendwelche Viktorianer mit ihren Teetassen reinspazieren. Es war, als wäre der Garten zu einer Verkörperung häuslicher Träume geworden, einem wesentlichen Grundbestandteil des menschlichen Bewusstseins. Es war, als könnte ich plötzlich in dieser zeitgenössischen Miniatur die antike Entsprechung erkennen, durch die Plato vielleicht mit einigen Zeitgenossen geschlendert war; kurz, ich spürte das Ewige im Flüchtigen.
    Ich saß da, angenehm in diese

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