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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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zischte davon, aufgeschreckt von dem herannahenden Laub. Dummes Laub, konnte den Vogel doch unmöglich einfangen.
    Es sei denn, er würde ihn mit einem Stein erschlagen und da liegen lassen. Dann wären die trockenen Blätter so dankbar, dass sie ihn zum Laubkönig ausrufen würden.
    Haha.
    Er gab einem Laubhaufen einen heftigen Tritt.
    Scheiße. Ihm war zum Heulen. Warum, was war los, was machte ihn bloß so traurig?
    Er fuhr los, durch die Stadt, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte. Der Fluss stand hoch. Die Grundschule hatte einen neuen Fahrradständer. Eine Tonne Hunde sprang wie immer an den Zaun, als er an Flannerys Zwinger vorbeikam. Neben dem Zwinger war »Mike’s Gyros « . In der grässlichen siebten Klasse hatte Mom ihn einmal auf eine Cola zu »Mike’s « eingeladen.
    »Al, was ist denn wohl das Problem?«, hatte Mom gesagt.
    »Alle nennen mich rechthaberisch und dick«, hatte er gesagt. »Und sie sagen, ich wär hinterlistig.«
    »Tja, Al, du bist rechthaberisch, du bist dick, und ich denke mir, dass du auch ganz schön hinterlistig sein kannst. Aber weißt du, was du noch bist? Du hast etwas, das sich Zivilcourage nennt. Wenn du weißt, etwas ist richtig, dann tust du es, egal was es dich kostet.«
    Mom konnte manchmal totalen Blödsinn reden. Einmal sagte sie, an der Art, wie er die Treppe hochliefe, könnte sie merken, dass er einen tollen Bergsteiger abgeben würde. Und einmal, als er eine Zwei minus in Mathe geschafft hatte, meinte sie, er solle doch Astronomie studieren.
    Gute alte Mom. Sie hatte ihm immer das Gefühl gegeben, etwas Besonderes zu sein.
    Plötzlich brannte sein Gesicht. Ihm war, als würde Mom aus dem Himmel auf ihn herunterschauen, streng, aber trocken, wie es ihre Art war, als wollte sie sagen, Hallo, vergessen wir da vielleicht gerade etwas?
    Na ja, es war ja ein Versehen gewesen. Er hatte ganz zufällig und versehentlich einige Sachen verlegt. Verlagert. Mit seinem Fuß. Via spontanes, fälschliches Kicken.
    Moms Augen im Himmel verengten sich.
    Die waren gemein zu mir, sagte er.
    Mom klopfte im Himmel mit dem Fuß auf den Boden.
    Was sollte er tun? Zurückrasen, sie zu den Schlüsseln führen? Dann wüssten sie, dass er es gewesen war. Plus, Donfrey war vermutlich längst weg. Wahrscheinlich hatte Donfreys Frau einen Ersatzschlüssel. Obwohl Donfreys Frau ja nicht da gewesen war. Also, irgendwer konnte Donfrey ja nach Hause fahren. Nachdem er eine Weile vergeblich nach seinen Schlüsseln gesucht hatte. Weswegen er dann so spät kommen würde, dass sie einen neuen Termin für die Tochter und ihre –
    Scheiße.
    Ach, das würden sie überleben. Keiner würde deswegen sterben. Musste ein Kind halt ein paar Monate länger warten auf sein –
    Roosten bog in eine weiß gepflasterte Auffahrt ein. Er musste kurz nachdenken. Ein Yorkshire-Terrier raste an den Zaun und bellte rituell. Dann kam ein Huhn dazu. Hm. Ein Huhn und ein Yorkie im selben Garten. Sie standen nebeneinander und musterten Roosten.
    Heureka.
    Er erkannte, wie er es machen konnte.
    Er würde sich zurückschleichen, so tun, als wäre er nie weg gewesen. Alle würden nach dem Portemonnaie und den Schlüsseln suchen. Er würde ihnen eine Weile dabei zusehen. Und wenn sie dann fast schon aufgeben wollten, würde er sagen, Ihr habt doch sicher schon unter den Podesten da nachgeschaut?
    Ähm, na ja, nein, würde Donfrey sagen.
    Lohnt vielleicht den Versuch, würde Roosten vorschlagen.
    Sie würden ein paar Typen dazuholen und die Podeste verschieben. Und da würden sie dann liegen, das Portemonnaie und die Schlüssel.
    Wow, würde Donfrey sagen. Du bist unglaublich.
    Nur eine Ahnung, würde Roosten sagen. Ich habe einfach im Kopf alle anderen Optionen ausgeschlossen.
    Ich fürchte, ich habe dich unterschätzt, würde Donfrey sagen. Wir müssen dich bald mal nach Hause einladen.
    In die Villa?, würde Roosten sagen.
    Und Al?, würde Donfrey sagen. Entschuldige, dass wir damals einfach aus deinem Laden rausgegangen sind. Das war unhöflich. Und Al? Entschuldige, dass ich dich vorhin Ed genannt habe.
    Ach, war das so?, würde Roosten sagen. Ist mir eigentlich gar nicht aufgefallen.
    Das Abendessen in der Villa würde gut laufen. Bald wäre er praktisch ein Teil der Familie. Und würde einfach so vorbeischneien. Das wäre sehr nett. Nett, mal in einer Villa abzuhängen. Manchmal würden vielleicht die Jungs mitkommen. Obwohl, wehe, die Jungs machten was kaputt. Ringen müssten sie draußen. Denn was er wirklich nicht

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