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Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Zehnter Dezember: Stories (German Edition)

Titel: Zehnter Dezember: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Saunders
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hatte auch noch nie gehört, dass das möglich wäre. Und von dem Tag an dachte er jedes Mal, wenn er sich wieder fragte, ob er etwa auf Typen stand, bloß daran, wie er nach der befreienden Erkenntnis, dass er genauso wenig auf Typen stand wie auf Katzen, jubelnd durch den Wald gelaufen war und glücklich und unglaublich erleichtert die Schirme von den Pilzen gekickt hatte.
    Eine Art Musik setzte ein, eine Folge lauter, satter Schläge, rhythmisiert durch angedeutetes weibliches Stöhnen und etwas, das sich anhörte wie eine knarzende Tür, und Larry Donfrey stürmte zu plötzlichem Klatschen und Johlen den Laufsteg runter.
    Was soll’s?, dachte Roosten. Johlen? Klatschen? Würde er Applaus kriegen? Johlen? Das bezweifelte er. Wer johlte/klatschte für den runden Glatzkopf im Gondolierekostüm? Wenn er eine Frau wäre, würde er für Donfrey johlen/klatschen, den Typ mit dem festen Hintern und den definierten braunen Armen.
    Die Blondine gab Roosten seinen Einsatz, indem sie, auf der Stelle laufend, auf ihn zeigte.
    Ogottogott.
    Roosten trat argwöhnisch hinter dem Paravent hervor. Keiner johlte. Er setzte sich in Bewegung, den Laufsteg runter. Keiner klatschte. Der Raum hörte sich an wie ein Raum, der das Lachen unterdrückt. Er versuchte es mit einem sexy Lächeln, aber sein Mund war zu trocken. Wahrscheinlich konnte man seine gelben Zähne sehen und die Stelle, wo sein Zahnfleisch zurückgegangen war.
    Erstarrt in dem harschen Scheinwerferlicht, sah er so verrückt und alt und verloren und doch restarrogant aus, dass sich eine intensive Unbehaglichkeit in dem Raum ausbreitete, die in einem anderen Zusammenhang als einer Wohltätigkeitsshow leicht zu Beleidigungsrufen oder Wurfgeschossen hätte führen können, in diesem Fall kam aber eine Art Mitleidsjohler ungefähr von der Salatbar rüber.
    Roostens Gesicht hellte sich auf, er schickte ein angedeutetes Winken der Erleichterung in die Richtung des Johlers, und die Unbeholfenheit dieser Geste – die ungewollt seine Verängstigung bloßlegte – rührte die Menge, dieselbe Menge, die ihn Sekunden zuvor bereitwillig verspottet hätte, noch jemand ließ einen Mitleidsjohler ab, und Roosten lächelte, ein breites irres Grinsen, das eine Welle Gnadenapplaus auslöste.
    Roosten war für das Barmherzige daran taub. Super, dieser Johl- und Applauspegel. Er sollte mal einen Bizeps anspannen. Er würde es tun. Er tat es. Das sorgte für eine Steigerung des Johl- und Applauspegels, für seine Ohren war er jetzt mindestens gleichauf mit Donfreys Johl- und Applauslautstärke. Plus, Donfrey war praktisch nackt gewesen. Was darauf hinauslief, dass er streng genommen Donfrey geschlagen hatte, denn Donfrey hatte sich nackt ausziehen müssen, damit er gleichauf mit ihm, Al Roosten, kam.
    Haha, armer Donfrey! Rannte in der Unterbuxe rum, und es nützte ihm nichts.
    Die Blondine warf Roosten ein Schmetterlingsnetz über den Kopf, und er ging zu Donfrey in den Pappknast.
    Jetzt, wo er es Donfrey gezeigt hatte, spürte er, wie in ihm eine Woge der Zuneigung aufbrandete. Der gute alte Donfrey. Er und Donfrey waren die Zwillingssäulen der ortsansässigen Geschäftsleute. Er kannte Donfrey nicht gut. Bewunderte ihn nur aus der Ferne. Genau wie Donfrey ihn aus der Ferne bewunderte. Einmal war der ganze Donfrey-Clan in Roostens Laden »Gute alte Zeit« einmarschiert. Donfreys Frau war wunderschön: hübsche Beine, schlanker Rücken, lange Haare. Man sah sie an und konnte nicht wegsehen. Donfreys Kinder hatten auch großartig auf ihn gewirkt, zwei elfenhafte Androgyne, die höflich über irgendetwas debattierten, vielleicht die Geschichte des Obersten Gerichtshofes?
    Jeder Promi hatte sein eigenes vergittertes Fenster in dem Pappknast. Donfrey trat jetzt von seinem weg und auf Roostens zu. Wie anmutig. Ein Prinz. Jetzt würden sie ein bisschen plaudern. Die Menge würde sich neidisch fragen, was wohl die beiden Säulen so Privates zu beplaudern hatten. Aber nein, Entschuldigung: Das blieb unter Säulen. Prolls brauchten es gar nicht erst zu versuchen.
    Donfrey sagte irgendetwas, aber die Musik dröhnte, und Roosten war schwerhörig.
    Roosten beugte sich vor.
    »Ich sagte, mach dir nichts draus, Ed«, rief Donfrey. »Das hast du prima gemacht. Echt. Keine große Sache. Nach einer Woche weiß das schon keiner mehr.«
    Was? Was zum Teufel? Was sagte Donfrey da? Dass er seine Sache schlecht gemacht hatte? Peinlich? Vor der ganzen Stadt? Unmöglich. Er hatte voll abgeräumt. War Donfrey auf

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