Zehnter Dezember: Stories (German Edition)
Bescheuerte bei der Sache war, dass man ja nie jemanden wirklich retten konnte. Letzten Sommer war hier draußen ein sterbender Waschbär gewesen. Er hatte überlegt, ihn nach Hause zu schaffen, damit Mom den Tierarzt rufen konnte. Aber so aus der Nähe war er zu gruselig. Waschbären sind nämlich in Wirklichkeit größer, als sie im Comic aussehen. Und der da machte den Eindruck, als könnte er gut zubeißen. Also lief er nach Hause, um zumindest Wasser für ihn zu holen. Bei seiner Rückkehr sah er, dass der Waschbär noch ein bisschen Last-Minute-Randalieren veranstaltet hatte. Das war traurig. Mit traurig konnte er nicht so gut umgehen. Es war dann wohl noch zu etwas Fastweinen gekommen, seinerseits, im Wald.
Das heißt einfach, dass du ein großes Herz hast, sagte Suzanne.
Ach, ich weiß nicht, sagte er bescheiden.
Da lag der alte Lkw-Reifen. Wo die Highschool-Kids Party machten. In dem Reifen lagen, schneeüberkrustet, drei Dosen Bier und eine zusammengeknüllte Decke.
Wahrscheinlich machst du gerne Party, hatte der Jensi kurz zuvor, als sie genau da vorbeikamen, zu Suzanne abgelassen.
Nein, gar nicht, sagte Suzanne. Ich spiele gerne. Und ich kuschele gerne.
Weia, sagte der Jensi. Wie laaaangweilig.
Irgendwo gibt es einen Mann, der gern spielt und kuschelt, sagte Suzanne.
Er kam jetzt aus dem Wald, vor ihm lag der hübscheste Anblick, den er kannte. Der Teich war reines gefrorenes Weiß. Irgendwie schweizerisch, fand er. Eines Tages würde er das überprüfen. Wenn die Schweizer eine Parade für ihn veranstalteten oder so.
Hier verließen die Spuren vom Jensi den Pfad, als hätte er sich einen Moment der Muße gegönnt, um den Teich zu bewundern. Vielleicht war dieser Jensi ja nicht nur schlecht. Vielleicht erlitt er gerade eine schwächende Gewissensattacke bezüglich der tapfer strampelnden Suzanne auf seinem Rücken. Zumindest schien er Natur irgendwie zu mögen.
Dann kehrten die Spuren auf den Pfad zurück, umrundeten den Teich und strebten Lexow Hill hoch.
Was war dieses seltsame Objekt? Ein Mantel? Auf der Bank? Der Bank, die die Jensis für ihre Menschenopfer verwendeten?
Keine Schneeablagerungen auf dem Mantel. Mantelinneres noch leicht warm.
Ergo: der vor kurzem abgelegte Mantel des Jensis.
Das war jetzt aber schräges Karma. Ein spannendes Rätsel, im Rahmen der Rätsel, die ihm bislang begegnet waren. Und da gab es einige. Einmal hatte er einen BH an einem Fahrradlenker gefunden. Einmal hatte er ein komplettes unberührtes Steak mit Beilagen auf einem Teller hinter dem Fresno’s gefunden. Und es nicht gegessen. Obwohl es ziemlich gut aussah.
Irgendwas war im Gange.
Dann gewahrte er einen Mann am Lexow Hill, auf halber Strecke nach oben.
Einen mantellosen kahlköpfigen Mann. Superdünn. Sah nach Schlafanzug aus, was er anhatte. Kletterstapfte mit Schildkrötengeduld da hoch, die nackten weißen Arme ragten aus seinem Schlafanzugoberteil raus wie zwei nackte weiße Äste, die aus einem Schlafanzugoberteil rausragten. Oder einem Grab.
Welcher Mensch ließ an einem Tag wie heute seinen Mantel liegen? Ein Irrer, genau. Dieser Kerl wirkte irgendwie irre. Wie ein Typ aus Auschwitz oder ein trauriger verwirrter Opa.
Dad hatte mal gesagt, Verlass dich auf deinen Kopf, Rob. Wenn es wie Scheiße riecht, aber quer drübergeschrieben steht Happy Birthday und ne Kerze steckt drin, was ist es dann?
Ist da auch Zuckerguss drauf?, hatte er gefragt.
Dad hatte dieses Augenzusammenkneifen gemacht, das er immer machte, wenn eine Antwort noch nicht ganz saß.
Was sagte ihm sein Kopf jetzt?
Irgendwas stimmte hier nicht. Ein Mensch brauchte einen Mantel. Selbst wenn es ein erwachsener Mensch war. Der Teich war zugefroren. Das Schwimmthermometer zeigte minus zwölf. Wenn der Mensch ein Irrer war, musste man ihm erst recht zu Hilfe kommen, denn hatte Jesus nicht gesagt, Gesegnet ist, wer denjenigen hilft, die sich nicht selbst helfen können, weil sie zu irre, tatterig oder behindert sind?
Er schnappte sich den Mantel von der Bank.
Es war eine Rettung. Endlich eine echte Rettung, quasi.
Zehn Minuten zuvor hatte Don Eber eine Pause am Teich gemacht, um wieder zu Atem zu kommen.
Er war so müde. Das war ja was, heiliger Bimbam. Wenn er früher hier mit Sasquatch rausging, liefen sie immer sechsmal um den Teich und dann noch den Hügel hoch, klatschten den Felsen am Gipfel ab und sprinteten wieder runter.
Komm mal in die Gänge , sagte der eine von den beiden Typen in seinem Kopf, die schon den
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