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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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herausgehört, dass ihr Nein gar kein Nein bedeutete.»
    «Mir hat nie ein Mädchen nein gesagt», sagte der König. «Bestimmt nicht», sagte die Prinzessin.
    «Oder sie hat es bereut», sagte der König.
    Der Wasserfleck war eine Wolke. Eine dunkle Wolke. Wenn man nur genügend lang wartete, musste der Sturm ausbrechen.
    «Erzähl weiter», sagte der König.
    «Ein paar Jahre lang waren sie unzertrennlich», sagte die Prinzessin. «Bis der Junge – nur dass er damals schon kein Junge mehr war, sondern ein junger Mann – die Tasche mit dem Kopf aus Versehen in einer Bar stehenließ. Sie einfach vergaß.»
    «Warum?», fragte der König.
    «Warum wohl?», sagte die Prinzessin.
    «Ein Mädchen», sagte der König.
    «Eine Frau», sagte die Prinzessin. «‹Bei der hast du Chancen›, hatte der Kopf ihm zugeflüstert, und er hatte, wie immer, recht gehabt. Die Frau gehörte zu denen, die beim Geschlechtsakt schreien ...»
    «Das mag ich nicht», sagte der König. «Es lenkt mich ab.»
    «... und der junge Mann fragte sich ganz automatisch, was der Kopf wohl dazu sagen würde. In diesem Moment fiel ihm ein, dass er die Bowlingtasche hatte stehenlassen. Am liebsten wäre er gleich losgerannt, um sie zu holen, aber das war in dieser Situation nicht gut möglich.»
    «Er steckte fest», sagte der König und verschluckte sich am eigenen Gelächter. «Steckte fest. Verstehst du den Witz?»
    «Ja», sagte die Prinzessin.
    «Wieso lachst du dann nicht?»
    «Ich dachte, du wolltest die Geschichte hören.»
    «Du hast keinen Humor», sagte der König. «Das ist dein Problem.»
    «Wahrscheinlich», sagte die Prinzessin.
    «Erzähl weiter», sagte der König.
    «Als er endlich bei der Bar ankam, hatte die schon geschlossen. Am nächsten Tag war er so früh dort, dass er nur die Reinemachfrau antraf, die nichts von einer Bowlingtasche wusste. Und auch als später die Angestellten einer nach dem anderen eintrafen, erinnerte sich niemand daran, so einen Gegenstand gesehen zuhaben. Es blieb ihm schließlich nichts anderes übrig, als beim Fundbüro nachzufragen, obwohl er große Angst davor hatte.»
    «Angst vor dem Fundbüro?», fragte der König. «Wieso denn das?»
    «Wenn die Tasche dort gewesen wäre, hätte man sie bestimmt schon geöffnet und ihm eine Menge unangenehmer Fragen gestellt. Aber eine Bowlingtasche stand nicht im Verzeichnis. Es gab nur eine Möglichkeit: Jemand hatte sie gestohlen.»
    «Der wird sich beim Öffnen ganz schön gewundert haben.» Der König lachte hustend. «Wenn ich mir vorstelle, wie der die gefundene Kugel ausprobieren will ... »
    «Vielleicht», sagte die Prinzessin. «Vielleicht war es aber auch ganz anders. Man weiß es nicht. Der Kopf wollte nie etwas davon erzählen.»
    «Ich denke, der Kopf war verschwunden.»
    «Ungefähr eine Woche später stand die Tasche plötzlich vor der Tür des Hauses, in dem der Mann wohnte. Stand daeinfach auf dem Boden. Er fand sie, rannte die Treppe hinauf, sperrte sich in seiner Wohnung ein, holte den Kopf heraus und fragte: ‹Wo bist du gewesen?›
    Und der Kopf antwortete: ‹Das geht dich einen Scheißdreck an.›
    Der junge Mann wollte nicht glauben, dass er das gehört hatte. All die Jahre waren sie die besten Freunde gewesen. Hatten sich alles erzählt. Nie Geheimnisse voreinander gehabt. Und jetzt, wo etwas so Außergewöhnliches passiert war...»
    «Was war denn nun passiert?», fragte der König ungeduldig.
    «Ich weiß es nicht», sagte die Prinzessin. «Der Kopf hat über seine Erlebnisse nie gesprochen.»
    «Du könntest dir etwas ausdenken», sagte der König. «Hat ihn der Junge denn nicht gefragt?»
    «Immer wieder», sagte die Prinzessin. «Er konnte es nicht fassen, dass der Kopf ihm etwas nicht erzählen wollte. Er fragte und fragte. Aber der Kopf drückte nur ganz fest die Augen zu – das war seine Art, etwas abzulehnen, weil er sich ja nicht selber schütteln konnte – und sagte: ‹Man will auch mal etwas für sich behalten.›
    ‹Ich habe dir immer alles erzählt›, sagte der junge Mann vorwurfsvoll.
    ‹Du hast mich stehenlassen›, sagte der Kopf. ‹In einer Bar.›
    ‹Das war doch nur ein Versehen.›
    ‹Mag sein›, sagte der Kopf. ‹Und ich habe aus Versehen vergessen, was in der letzten Woche passiert ist.› Er sagte es bitter und sarkastisch, was sonst nie seine Art gewesenwar. Seit dem Tag, an dem er sein Glas gesprengt hatte, war er immer vernünftig und sachlich gewesen, aber jetzt blieb er stur und ließ sich weder

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