Zehnundeine Nacht
geworden. Nicht so reich wie ein Herzog oder ein Kardinal, aber doch so, dass er manchmal richtig überlegen musste, für was alles er sein Geld noch ausgeben könnte. Wer viel Geld hat, will immer noch mehr ...»
«Natürlich», sagte der König.
«... und als sich eines Tages in Mailand die Nachricht verbreitete, irgendwo in der Campagna sei ein vollständiges Skelett des heiligen Gregorius entdeckt worden, da gab esfür ihn keinen Zweifel, dass er und kein anderer das Geschäft damit machen sollte.»
«War dieser Gregorius denn etwas Besonderes?»
«Vielleicht hieß er auch anders», sagte die Prinzessin. «Das ist für die Geschichte nicht wichtig. Auf jeden Fall ging es um ein vollständiges Skelett und einen prominenten Heiligen, was zusammen sehr selten ist.»
«Skelette gibt es jede Menge», sagte der König. «In jedem Menschen steckt eins drin. Mit den Heiligen bin ich mir da nicht so sicher.» Er lachhustete schon wieder. Heute war er wirklich gut gelaunt.
«Ein Schafhirt fand die Gebeine. Ein Engel hatte ihm im Traum die richtige Stelle gezeigt, und gleich nach dem Erwachen war er hingegangen und hatte sie ausgegraben.»
«Märchen!», sagte der König verächtlich. «Geschichten», sagte die Prinzessin.
«Ein Schafhirt, dem Engel im Traum erscheinen! So besoffen kann einer gar nicht sein.»
«Vielleicht hatte er ja auch nur die verwitterten Knochen eines Gehängten gefunden. Oder es hatte sich einmal einer in der abgeschiedenen Gegend verlaufen und war verhungert. Oder ein Wolf hatte ihn gefressen. Darauf kam es auch gar nicht an.»
«Worauf sonst?»
«Dass die Leute die Geschichte glaubten. Solang sie den heiligen Gregorius darin erkannten, war das Skelett eine Reliquie. Und damit wertvoll.»
«Ich hab mal einen gekannt», sagte der König, «der hat mit Ecstasy-Pillen gedealt und für die Verpackung mehrGeld ausgegeben als für die Herstellung. Damit es aussah wie guter Stoff. Das ist so etwas Ähnliches, nicht wahr?»
«So ungefähr», sagte die Prinzessin. «Der Kaufmann, von dem ich dir erzählt habe ... Erinnerst du dich noch an den Kaufmann?»
«Ich vergesse nie etwas», sagte der König.
«Der Kaufmann beschloss, dass er den heiligen Gregorius in seiner Kollektion haben müsse. Egal zu welchem Preis. Wer ein Monopol hat, muss es verteidigen. Und so ein Einzelstück, rechnete er, würde sich, egal wie viel man am Anfang dafür bezahlte, letzten Endes immer mit Profit weiterverkaufen lassen. Er machte sich also, nur von einem Diener begleitet, auf die lange Reise von Mailand bis in die Campagna, was damals ein sehr weiter Weg war. Allerdings konnte er sich ein gutes Pferd leisten, und in den Herbergen unterwegs ließ er sich das beste Essen vorsetzen. Kurz bevor er sein Ziel erreichte, stieg er ab und ging zu Fuß weiter, als Bettelmönch verkleidet.»
«Wieso denn das?»
«Wenn er dem Schafhirten den Heiligen um billiges Geld abschwatzen wollte, wäre es nicht klug gewesen, als reicher Mann bei ihm aufzutauchen.»
«Das ist logisch», sagte der König. «Hätte ich auch nicht gemacht.»
«Er hatte sich einen schlauen Plan zurechtgelegt. Auch ihm, wollte er dem Hirten erzählen, sei ein Engel des Herrn im Traum erschienen, und der habe ihm befohlen, die heiligen Gebeine abzuholen und für sie eine Kapelle zu erbauen. Auf diese Weise, dachte er, würde er die kostbaren Knochen vielleicht sogar kostenlos an sich bringen können.»
«Wieso sollte der Hirte darauf reinfallen?», fragte der König.
«Wer an einen Engel glaubt, glaubt auch an einen anderen. Aber die Verkleidung erwies sich dann als überflüssig. Ein anderer Geschäftsmann war schneller gewesen und hatte dem Schafhirten das Skelett bereits abgekauft. Für fünf Schafe oder einen neuen Mantel oder was weiß ich. Egal. Auf jeden Fall hatte er die Gebeine bekommen, und im Gegensatz zu dem naiven Hirten wusste er, was so ein heiliger Gregorius wert war, und wie man diesen Wert auch zu Geld machen konnte. Als der Knochenhändler bei ihm eintraf, hatte er schon einen eigenen Karren für das Skelett bauen lassen.»
«Wozu denn ein Karren?», fragte der König.
«Um mit den Gebeinen von Ort zu Ort zu ziehen. Vor allen Kirchen wollte er anhalten, das war sein Plan, und seinen Heiligen gegen Gebühr anbeten lassen. Er wartete nur noch darauf, dass der Schildermaler mit dem Reklameplakat fertig würde.»
«Vor ein paar hundert Jahren gab es noch keine Plakate», wandte der König ein.
«Doch», sagte die Prinzessin. «Sie
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